„Am Ende geht es doch darum, dass die Musik gut ist“, sagt Eva-Maria Sens, die Künstlerische Direktorin der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. © Die Fotografen
Was ist mehr wert? Günstige Winde für die Schifffahrt oder das Leben einer Frau? Die Antwort ist nicht sofort klar, zumindest im antiken Mythos. Und tatsächlich hätte Heerführer Agamemnon beinahe seine Tochter Iphigenie geopfert– wenn da nicht rechtzeitig Göttin Artemis erschienen wäre. Und das Beste, davon konnte das Kino ja viel lernen: Für „Iphigenie in Aulis“ gibt es ein Sequel, „Iphigenie auf Tauris“. Ebenfalls mit Mordgefahr, hier hätte die Heldin fast ihren Bruder Orest gekillt.
Der perfekte Stoff für die Bühne, Schauspiel und Musiktheater profitierten davon. Die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik zeigen in diesem Sommer sogar beide Teile, allerdings standesgemäß in eher unbekannten Vertonungen: Am 8. August hat im Tiroler Landestheater „Ifigenia in Aulide“ von Antonio Caldara (1670-1736) Premiere, das Stück wurde vor 300 Jahren (!) letztmals gespielt. Und am 27. August folgt am selben Ort „Ifigenia in Tauride“ von Tommaso Traetta (1727-1779). „Es ist wieder eine ungewöhnliche Wahl“, sagt Eva-Maria Sens, Künstlerische Direktorin der Festwochen. Und ein Zeichen dafür, welche programmatische Freiheit man in Innsbruck genieße.
Seit Herbst 2023 ist Sens im Amt und setzt die Tradition des Festivals fort. Zwar gab es unter dem legendären früheren Chef, dem Dirigenten René Jacobs, auch mal Blockbuster wie Mozarts „Don Giovanni“. Doch eigentlich sind unter der alpinen Nordkette Goldschürfer am Werk. „Unser Alleinstellungsmerkmal ist eben, dass wir nicht die 20. Version von Händels ,Giulio Cesare‘ bringen“, formuliert es Eva-Maria Sens. Sie sieht ihr Festival als „Nährboden“ für die gesamte Barockszene.
Mit einem „Cäsar“ hat Ottavio Dantone, seit vergangenem Jahr musikalischer Leiter des Festivals, dort übrigens debütiert, aber eben aus der Feder von Geminiano Giacomelli (1692-1740) – ein großer Erfolg zum Einstand. Dantone habe „eine absurd große Kenntnis von Musik“, sagt Eva-Maria Sens. Bei der Vorstellung des diesjährigen Programms habe der Dirigent sich ans Cembalo gesetzt, um mit großer Begeisterung die Unterschiede der beiden Iphigenie-Opern anhand der instrumentalen Basslinien zu verdeutlichen. „Das Publikum war so gebannt, das habe ich selten erlebt.“
Ungewöhnlich bleibt auch die Vielfalt, mit der die Festwochen zwischen dem 24. Juli und dem 31. August nach Innsbruck locken. Es gibt eine dritte Opernproduktion, der Gesangsnachwuchs bietet Vivaldis „Il Giustino“. Dazu kommen viele Konzerte, aber auch Programmpunkte wie der Kinderworkshop „Wie wird eine Geige gebaut?“, die „Hörgeschichten“ (Gespräche mit Künstlerinnen und Künstlern), eine musikalische „Blaue Stunde“ im Hofgarten oder „Musica montana“ auf den Almen rund um Innsbruck. Zu 50 Prozent reisen die Festwochen-Gäste laut EvaMaria Sens aus dem Ausland an. Insgesamt 25 Prozent des Publikums bezeichnet sie lächelnd als „Gewohnheitstiere“. Alte Musik in historischer Aufführungspraxis, das sei „eine Nische in einer Nische“, darüber müsse man sich im Klaren sein. Und trotzdem gebe es dafür eine Nachfrage, man nehme nur die vielen Barock-Alben (obwohl der CD-Markt schwindet) oder andere Festivals wie in Bayreuth oder die Händel-Festspiele in Halle und Göttingen.
Drei Opernpremieren, dabei soll es vorerst bleiben. „Im Moment sind wir finanziell stabil aufgestellt, wir fühlen uns noch keinen Zwängen ausgesetzt“, meint die Künstlerische Direktorin. „Die Bedeutung des Festivals für die gesamte Region ist der Politik sehr wohl bewusst.“ 2026 will sie noch eins draufsetzen, da wird der 50. Geburtstag der Festwochen gefeiert. Nur mit den Koproduktionen hapere es noch. Als Eva-Maria Sens Vivaldis hochkarätig besetzte „L‘olimpiade“ anbot (Premiere war 2023), habe sie von Opernhäusern zu hören bekommen: „Wir kriegen hier nicht einmal mit Händel das Haus voll.“ Dabei gibt es für die Chefin eigentlich nur ein Kriterium, auch gerichtet an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen: „Am Ende geht es doch darum, dass die Musik gut ist.“
MARKUS THIEL
Weitere Informationen
zum Programm und Vorverkauf unter www.altemusik.at.