Als Joe Pass im Eröffnungsstück „Night and Day“ nach gut einer Minute ins Swingen kommt, hat er es geschafft: Er ersetzt vollkommen ohne Begleitung eine ganze Bebop-Combo auf seiner Gitarre. Der Mann aus New Jersey war wirklich ein „Virtuoso“, wie dieses, sein berühmtestes Album von 1973 heißt, das jetzt in hoher Qualität wieder aufgelegt wurde. Ein komplexer Hybrid aus klassischer Akkord-Zupftechnik, Walking Bass und halsbrecherischen Soli, der einem tatsächlich den Atem raubt. Bleibt das Problem – und das ist wirklich Geschmackssache –, dass diese Herangehensweise zwar in isolierten Songs („Stella by Starlight“) wie das Beste klingt, das der Jazz zu bieten hat. Auf die Länge einer ganzen LP jedoch wird’s anstrengend. Etwa wenn die Hochgeschwindigkeitsversion von „How high the Moon“ übergeht ins aberwitzig flinke „Cherokee“. Für sich genommen der Wahnsinn, hintereinander ein bisschen viel. Wie viele chromatische Läufe kann ein Mensch verkraften, wenn er kein Gitarrenschüler ist?
LÖ
Joe Pass:
„Virtuoso“ (Pablo / Craft).
★★★★☆ Hörenswert