Es bleibt in der Familie

von Redaktion

Nick Harkaway setzt mit „Smiley“ das Werk seines Vaters John le Carré fort

John le Carré (1931-2020). © Christian Charisius/dpa

Er setzt das Erbe seines Vaters fort: Nick Harkaway hat einen Thriller über George Smiley geschrieben. © Nadav Kander/dpa

Viereinhalb Jahre nach dem Tod des Schriftstellers John le Carré erscheint jetzt bei uns ein neues Buch mit seiner bekanntesten Figur, dem widerwilligen Meisterspion George Smiley. Es ist kein verschollenes Manuskript aus den Archiven. Geschrieben hat „Smiley“ einer von le Carrés Söhnen, Nick Harkaway. Der Roman spielt in den Sechzigerjahren, kurz nach den Ereignissen von le Carrés Durchbruch mit dem Roman „Der Spion, der aus der Kälte kam“.

John le Carré brachte George Smiley erst ein Jahrzehnt danach in „Dame, König, As, Spion“ als Figur zurück. Es gibt also ein Fenster von rund zehn Jahren, das mit Geschichten gefüllt werden kann. Im neuen Buch hat Smiley traumatisiert dem Geheimdienst den Rücken gekehrt. Doch er wird noch einmal in sein bisheriges Leben hineingezogen, als ein ursprünglich aus Ungarn stammender Verleger in London verschwindet – und Moskau die Finger im Spiel zu haben scheint.

Das ist vielleicht die Stelle, an der man erwähnen sollte, dass weder John le Carré noch Nick Harkaway echte Namen sind. David Cornwell entschied sich einst, als John le Carré zu schreiben, weil er noch beim britischen Geheimdienst angestellt war. Als sein Sohn Schriftsteller wurde, wählte er ebenfalls ein Pseudonym – um nicht im Schatten des berühmten Vaters zu stehen. So wurde aus Nicholas Cornwell eben Nick Harkaway. Die Ironie, dass er nun den literarischen Betrieb unter dem Namen übernimmt, von dem er so bemüht war, sich loszulösen, entgeht ihm nicht. Es war nicht unbedingt sein Plan.

John le Carré hinterließ einen Brief mit Wünschen an seine Familie. Dazu gehörte, dafür zu sorgen, dass seine Werke weiterhin gelesen werden. Ein Weg, das zu erreichen, wären neue Bücher, beschlossen seine Kinder. Harkaway stellte eine Liste von Autoren zusammen, die dafür infrage kämen. Doch schlug sein Bruder Simon vor, Nick solle es selbst machen. Also habe er testweise Fragmente geschrieben – „und es fühlte sich natürlich an“, sagt Harkaway. „Ich musste meine Stimme nicht verstellen.“ Der Verlag nennt „Smiley“ einen John-le-Carré-Roman schließlich geht es um dessen Universum, und kann nicht mehr als eine Person ein Pseudonym ausfüllen?

Harkaway wurde gewissermaßen in die Welt von Smiley hineingeboren. In den ersten Lebensjahren arbeitete sein Vater an der Roman-Trilogie, die mit „Dame, König, As, Spion“ begann. „Er schrieb Seiten per Hand und las sie meiner Mutter beim Frühstück, Mittag oder im Bett vor“, erinnert sich der Sohn. „Als ich Sprechen lernte, bekam ich also zwei Stunden George Smiley jeden Tag.“ Im Nachhinein sei ihm klar geworden, dass Smileys Stimme schon immer in ihm steckte.

Liest sich „Smiley“ nun wie ein John-le-Carré-Buch? Ja und nein, könnte man sagen. Er habe nicht versucht, den Stil seines Vaters zu imitieren, betont Harkaway. „Ich schrieb immer als ich selbst, aber mit einem Ohr für Smileys Stimme und für die Stimmung der Smiley-Bücher.“ Sein Protagonist sei zugleich ein Mix aus allen Schauspielern, die den Meisterspion je verkörperten, von Alec Guinness bis Gary Oldman. Fans werden in dem Roman auch jüngere Versionen vieler Figuren wiedererkennen, die das Universum der Smiley-Romane ausfüllen. Eine Regel, die sich Harkaway dafür gab: „Je mehr man erfährt, desto größer muss das Mysterium werden.“

Wohin die Reise geht, ist mit den drei Büchern aus den Siebzigern vorgegeben. Harkaway kann jetzt aber den Weg aufschreiben, der dorthin führte. Für kommendes Jahr ist bereits sein zweiter Smiley-Roman angekündigt. Er spielt im Jahr 1965 und soll den Meisterspion unter anderem in die USA führen. In le Carrés Büchern wurde immer angedeutet, dass Smiley eine aufregende Vergangenheit hatte. Sein Sohn kann sie jetzt zum Leben erwecken.
ANDREJ SOKOLOW

Nick Harkaway:

„Smiley“. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Ullstein, Berlin, 366 Seiten; 24,99 Euro.

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