Zurück in der Stadt, in der er als Schriftsteller reifte: Thomas Mann im Jahr 1949 in der Maximilianstraße. © akg-images
„Gell, da schaugst!“ Ja, ist er, der Hanseat, des Bairischen so mächtig, dass er das 1901 in einem Brief seinem Freund, der heimlichen Liebe, dem Maler Paul Ehrenberg, triumphierend zuruft? Thomas Mann (1875-1955), der große Jubilar des Jahres, der heute vor 150 Jahren in Lübeck geboren wurde, folgt als fast 19-Jähriger nach dem Tod des Vaters seiner Mutter und den Geschwistern nach München. Sein Ziel steht fest: ein berühmter Schriftsteller zu werden, sprach- und, siehe oben, dialektbewusst. Die Stadt an der Isar war dafür der passendste Ort.
Versicherungsbeamter soll er werden, beginnt in der Süddeutschen Feuerversicherungsbank. Nach fünf Monaten schmeißt er hin, mietet ein Zimmer an der Ainmillerstraße in Schwabing, hört – als Gast – Vorlesungen an der TH München und bildet sich im Selbststudium durch intensive Lektüre. Und er schreibt, schreibt, schreibt. Einiges wird sogar gedruckt, nämlich in der „Gesellschaft“, einem zeitkritischen Journal, allerdings ohne Honorar. 1899 holt ihn Albert Langen als Lektor in seinen Verlag.
Der junge Thomas Mann ist unerhört fleißig. „Der kleine Herr Friedemann“ erscheint 1897 in der „Deutschen Rundschau“. Er habe seinen Stil gefunden: hinter den Masken des Schreibens unerkannt von sich selbst zu erzählen. „Ich verfalle immer mehr darauf, meinen Schreibbetrieb dazu zu verwenden, berühmt zu werden und Geld zu verdienen. Vier-Bogen-lange Briefe schreibt man doch nur, solange einen noch niemand druckt“, teilt er dem Jugendfreund Otto Grautoff mit. Darauf müsse jetzt verzichtet werden, denn neben der Verlagsarbeit und der gesellschaftlichen Kontaktpflege bringt er seinen Roman „Buddenbrooks“ zu Ende. Im Sommer 1900 schickt der 25-Jährige das Manuskript an den S. Fischer Verlag. Jetzt ist Geduld gefragt. Schlimmer ist die Einberufung zum Wehrdienst: ab 1. Oktober beim Leib-Infanterie-Regiment in der Türken-Kaserne an der Schwere-Reiter-Straße. Schnell manipuliert er sich ins Lazarett und wird – auch dank Beziehungen seiner Mutter – noch vor Weihnachten als „untauglich“ entlassen.
Der stets modisch gekleidete Mann fügt sich bravourös in die luxuriöse Münchner Gesellschaft ein, ohne sich von deren Frivolität verführen zu lassen. Seine Devise: Beobachter bleiben. Er kennt München mittlerweile sehr gut, ja, der Protestant aus dem Norden hat die katholische Stadt und ihre Bewohner erkannt. „München leuchtete.“ Der erste Satz seiner von Ironie getragenen Erzählung „Gladius Dei“. Hier schickt Mann einen mönchsartig gekleideten Menschen in eine Kunsthandlung am Odeonsplatz mit der Forderung, die Reproduktion des Gemäldes einer Madonna mit Kind aufgrund ihrer erotischen Anziehungskraft zu entfernen. Der Eiferer wird davongejagt. Und der Autor kommentiert: „Die Kunst blüht, die Kunst ist an der Herrschaft, die Kunst streckt ihr rosenumwundenes Zepter über die Stadt hin und lächelt … München leuchtete.“ Ein „e“ weniger, und die Stadt hat bis heute ihren Slogan.
Am 26. Februar 1901 erscheinen die „Buddenbrooks“. Es geht um die eigene Familie und die Lübecker Kaufmannselite. Das Buch, 1929 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, macht ihn berühmt. In München unter anderem deswegen, weil Mann hier die Karikatur eines typisch münchnerischen Mannsbilds, Alois Permaneder, heftigsten Dialekt sprechend auftreten lässt. Der Autor wird gefeiert, gilt als einer von ihnen. Er selbst sieht das zwiespältig.
Es ist Zeit für eine lebenswichtige Entscheidung, nämlich die eigene, ihn bedrängende, beschämende, verachtete, streng unter Kontrolle gehaltene und höchstens literarisch zugelassene Homoerotik aus dem Alltag zu verbannen und ins Münchner Großbürgertum einzuheiraten. Nach etlichen Tee-Einladungen ins elterliche Palais an der Arcisstraße geben sich am 11. Februar 1905 Mann und Katia Pringsheim, die 20-jährige Tochter des Multimillionärs, Wagnerianers und Mathematikprofessors Alfred Pringsheim, das Ja-Wort. Ihre erste eigene Bleibe ist eine vom Vater gemietete Wohnung in der Franz-Joseph-Straße 2, dritter Stock. Hier wohnen Katia und Thomas Mann mit ihren ersten vier Kindern bis Oktober 1910. Standesgemäß baut sich die Familie bald ihre Sommerfrische, das „Landhaus Thomas Mann“ in Bad Tölz. Hier wird der Welterfolg „Tod in Venedig“ geschrieben. In München geht es für drei Jahre in die Mauerkircherstraße 13. Und im Januar 1914 erfolgt der Umzug in den Neubau Poschingerstraße 1. Verkauft wird 1917 das Tölzer Quartier.
Die Stimmung in München ist umgeschlagen. Krieg, Revolution, Räterepublik. Mann notiert: „Pogrom-Stimmung in München. Widersetzlichkeit gegen das Judenregiment.“ Am 21. Februar 1919 wird Kurt Eisner von Anton Graf Arco erschossen. München leuchtet nicht mehr. Mann nach dem Sturz der Räterepublik in einem Brief an Philipp Witkop: „Diese Mischung von Stumpfsinn, Leichtsinn und Schwabingerei ist ekelerregend und, wie sich gezeigt hat, imstande, die blutigsten Absurditäten zu zeitigen. Ich trage mich mit Wegzugsgedanken.“
Nun, Mann bleibt in München, denn er halte die Stadt für die schönste Deutschlands. So spricht er 1929 in der Trinkstube des Rathauses anlässlich der Feier seines Nobelpreises. Nach der Kommunalwahl 1924 verschärft sich die Lage – mit dem Einzug von Nationalsozialisten und Vertretern der „nationalsozialistischen Befreiungsbewegung Großdeutschlands“ in den Stadtrat. 1925 fusionieren sie zur NSDAP. Die geistige Elite sieht nicht tatenlos zu. Mann, durch den „Zauberberg“ inzwischen Weltautor, bringt die lokale Presse gegen sich auf. Sie verurteilt sein Einmischen in die Politik, nennen ihn „Mann-Pringsheim“, um den „jüdisch verheirateten Mann“ zu diskreditieren.
Man schreibt das Jahr 1933. Hitler wird am 30. Januar zum Reichskanzler bestellt. Bereits Ende März streicht der Münchner Rotary Club, zu dessen Gründungsmitgliedern Mann gehört, den Schriftsteller aus seinen Listen. Die Manns sind da im Ausland; sie werden nicht zurückkehren. Die deutsche Staatsbürgerschaft wird ihm aberkannt – die Ausbürgerung der gesamten Familie erfolgt am 3. Dezember 1936.
Am 29. Juli 1949, nach 16 Jahren der Emigration, kehrt Mann als Besucher nach München zurück. Davon berichtet er seinem Freund Emil Preetorius: „Gewiß, ,München‘ verlief durchaus gemütlich und ohne Mißton. Die große Pressekonferenz, der Empfang der Akademie im Prinz Karl Palais … der Goethe-Vortrag, das abendliche Bankett im Rathaus, alles ging nett und freundschaftlich und harmlos vonstatten, eigentlich als sei nichts geschehen, während doch der Anblick der Stadt sehr an das Geschehene gemahnte … Ich habe viel weggeblickt, auch unser Haus im Herzogpark lieber gar nicht besucht.“ Im Oktober 1952 ist Thomas Mann zum letzten Mal in München. In Begleitung seiner Tochter Erika.
SABINE DULTZ