Die Chefin Cecilia Bartoli als Arachne. © Monika Rittershaus
Schluss mit der Sinnenfreude: Lea Desandre als Echo (li.) und Nadezhda Karyazina als Juno.
Frankenstein hat dies mit seinem Monster vollbracht, Spalanzani mit Olympia in „Hoffmanns Erzählungen“: Sich ein Wesen nach eigenen Wünschen, vor allem zum persönlichen Gebrauch zu erschaffen, eine Ursünde ist das – Götter und Natur, eigentlich für solche Aufgaben vorgesehen, nehmen das übel. Hier ist es ein Mann mit Schnauzer, Rautenpullunder und zurückgegeltem Haar. Man schmunzelt über seine linkische Annäherung an die Puppe, man labt sich an der mürben Stimmschönheit von Philippe Jaroussky. Doch als dieser Pygmalion seine Kunstfrau betatscht, küsst und mit ihr ins Bett steigt, schwant einem Übles: Der Mann hat ein Problem, der ist pervers.
Ein paar Mal geht das so im Haus für Mozart. Zwischen Augenzwinkern und Absturz fehlt nicht viel. Ovids „Metamorphosen“ erzählen davon: Wer Autoritäten und den Lauf der Dinge herausfordert, muss dafür bezahlen. Mit Verwandlung, mit dem Leben. Fünf dieser Sagen führen die Salzburger Pfingstfestspiele zusammen. „Hotel Metamorphosis“, das ist nicht nur der Titel, sondern auch der Schauplatz. Ein Fünf-Sterne-Zimmer, Bett, Sessel, Riesen-Flatscreen, Minibar, Michael Levine hat die perfekte Szenerie geliefert. Das Musikfutter stammt von Vivaldi. Arien, viele sind unbekannt, Instrumentalstücke, ein Schnipselprogramm, ein „Pasticcio“, im Barock war so etwas Opernalltag.
Wer eine Schlagerparade für Stars befürchtet, szenisch notdürftig verleimt, ist schief gewickelt. Der Abend ist sagenhaft in jeglicher Hinsicht. Das betrifft die so klug kombinierten Musiknummern, erst recht die Regie. Natürlich braucht Barrie Kosky ein paar Kniffe, um alles zusammenzuhalten. Das ist das stets minimal veränderte Einheitszimmer, das ist die Rahmenhandlung mit Orpheus und Eurydike, und das ist Angela Winkler als sprechender Orpheus. Eine Erzählerin und Spielmacherin, die ein Problem hat: Mit ihrem spätherbstlichen Mädchenton wird man nicht recht warm – und akzeptiert die Auftritte irgendwann trotzdem. Es ist eben wie bei Familienfesten, Großmutter will die alten Storys loswerden.
Die handeln hier von Pygmalions Menschenkreatur, aber auch von Arachne, die mit ihrer Webkunst Minerva herausfordert. Cecilia Bartoli, singende Chefin der Pfingstfestspiele, liefert sich einen Showdown mit Nadezhda Karyazina als Göttin. Man staunt wieder über die Mezzavoce-Zaubereien der Bartoli, über die Perfektion im Verzierungsstuckwerk, über ihren Mut zur Entäußerung, aber auch über die junge Kollegin: ein klangreicher Mezzo, ungewöhnlich ausdrucksstark, mit satter Tiefe, der sich trotzdem gelenkig durch den Notenslalom bewegt. Bartoli-Fans müssen stark sein, vokal hat Minerva die Nase vorn.
Aber auch das macht eben die Größe der Chefin aus. Seit Jahren umgibt sich die Bartoli in Salzburg mit ebenbürtigen Kolleginnen und Kollegen. Und viele dieser Vivaldi-Arien gehörten zu ihren Signetstücken, der Abend ist also auch ein hinter-gründiger Blick auf eine singuläre Karriere. Jetzt werden die Stücke von anderen gesungen, etwa das halsbrecherische „Agitata da due venti“ von Lea Desandre als Myrrha.
Die begehrt ihren Vater, bei Kosky und Klaus Bruns (Kostüme) ein Business-Typ, der keine Augen und keinen Sinn hat für Zuneigung. Lea Desandre ist das Chamäleon des Abends: mit fein gesponnenem, laszivem Melos als Myrrha und als dauergiggelnde, stimmlich aufgekratzte Nymphe in der Sage von Echo und Narcissus. Letzterer, wieder von Jaroussky gestaltet, ist ein früh Ergrauter im Pyjama, dem zwei Zwillingswunschmänner begegnen. Nur für sie hat er Augen, nicht für das ihn umgarnende Echo, das von Juno (Nadezhda Karyazina mit Diven-Aplomb) in einen Baum verwandelt wird. Humor, surreale Erotik und viel mehr überlagern sich in dieser von Kosky grandios entwickelten Episode. Dieser Narcissus, eben im Wunderhotel eingecheckt, ist ein Bild für eine sich an sich selbst besaufende, patriarchalische Gesellschaft. Nur dass Kosky dafür nicht den Zaunpfahl, sondern das Feinbesteck auspackt.
Dass er dafür drei Stars zur Verfügung hat, macht die Sache leicht. Ebenso im Graben die Instrumentalfraktion mit Les Musiciens du Prince – Monaco unter Gianluca Capuano. Die führt vor: Vivaldi muss katholisch musiziert werden. Also lustvoll, gehaltreich, mit kräftigem Farbauftrag. Ein Sinnenfest. Wie immer vertraut Kosky auf Otto Pichler. Seine frechen, hochtourigen Choreografien bringen einen Schuss französische Operette ins „Hotel Metamorphosis“. Am Ende kippt alles ins Tragische. Das Zimmer fährt nach oben, Eurydike (Cecilia Bartoli) begegnet im Orkus beschnäbelten Unterweltwesen und küsst den abgeschlagenen Kopf des Orpheus. Kein Happy End, Götter und Natur fordern ihren Tribut. Vier Stunden dauert der Vivaldi-Traum, aus dem das jubelnde Publikum ungern erwacht: Eine ganze Weile hätte das weitergehen können, Ovid und Vivaldi bieten Futter genug.
Weitere Vorstellungen
am 31. Juli, 5., 10., 13. und 15. August; salzburgerfestspiele.at.