AUSSTELLUNG

Für den kindlichen Blick

von Redaktion

„Wie Bilder erzählen“ in der Alten Pinakothek

Wolpertinger der Hölle: Eine Tafel von Michael Pachers Kirchenväteraltar. © S. Forster

Herumspazieren im Wimmelbild: Das erlaubt auch die „Bauernhochzeit“ von Pieter Bruegel d.Ä. © Wilhelms

Wer Kindern die Kunst nahezubringen versucht, kommt ihnen nicht mit Komposition oder Pinselduktus. Vielmehr glaubt man mit wohlmeinender Herablassung, die lieben Kleinen dort „abholen“ zu müssen, wo sie „stehen“, also beim sehr Konkreten: bei den Rittern und Burgen, Blümchen und Engelchen, die auf Gemälden zu sehen sind – ganz zu schweigen von all den komischen historischen Kopfbedeckungen der dargestellten Personen, über die man sich natürlich schieflachen kann.

Comic-Strips aus alter Zeit

Und Hand aufs Herz: Vermutlich ist es diese anekdotische, erzählerische Dimension der Bilder, was auch die meisten Erwachsenen vorwiegend wahrnehmen, also den Inhalt, weniger die Form. Eine buchstäblich pragmatische Sichtweise mit altehrwürdiger Tradition, denn zu Zeiten, als die wenigsten Menschen lesen konnten, mussten wichtige biblische Szenen der Herde der Gläubigen bildlich vermittelt werden: als Wand- und Altargemälde in Kirchen, wo fast wie in Comic-Strips das Heilsgeschehen anschaulich „erzählt“ wurde.

Jetzt aber dürfen wir uns alle ganz entspannt in diese kindlich-laienhafte Haltung zurückfallen lassen: „Wie Bilder erzählen: Storytelling von Albrecht Altdorfer bis Peter Paul Rubens“ heißt eine reichhaltige Ausstellung, mit der die Alte Pinakothek Gemälde aus ihrem eigenen Bestand einmal unter „literarischem“ Blickwinkel präsentiert – beschränkt auf altdeutsche und niederländische Malerei zwischen Renaissance und Barock.

Und so kann man endlich einmal lustvoll eintauchen in die Wonnen der Regression, in den unbefangen-naiven Bilderbuch-Blick, der staunend entdeckt, was auf den Gemälden so alles passiert – und sich nicht darum kümmert, wie sie durch die spezifische Gestaltung überhaupt erst zum Kunstwerk werden. Man kann gleichsam herumspazieren in einem Wimmelbild wie Albrecht Altdorfers berühmter „Alexanderschlacht“ (1528/29), um die unzähligen Ritter mit ihren Helmbüschen und Plattenharnischen zu bewundern, bis man ins Zentrum des wogenden Schlachtengeschehens gelangt, wo, ganz klein, der große Alexander mit eingelegter Lanze dem Perserkönig Darius nachsetzt, der auf seinem Streitwagen flieht.

Eine Tafel von Michael Pachers Kirchenväteraltar (um 1480) wiederum zeigt nicht nur die langweilige Heiligenfigur von St. Augustinus im bischöflichen Prachtgewand, sondern die eigentliche erzählerische Attraktion ist der ihm gegenüberstehende Teufel: ein giftgrüner Wolpertinger der Hölle. Aus dem Kopf des bocksfüßigen Ungeheuers ragen Rehkrickerl heraus, sein Maul ist mit Eberzähnen bestückt, und von den Drachenflügeln ganz abgesehen, bildet sein nackter Hintern ein eigenständiges Gesicht mit Augen und Mund.

Beim „Schlaraffenland“ (ca. 1567) von Pieter Bruegel d.Ä. sorgen dann vor allem die erzählerischen Details im Hintergrund des Gemäldes für groteske Komik. Da kraxelt eine Figur auf einem Teigberg herum, in den sie schon ein beträchtliches Loch hineingefressen hat, darunter sieht man ein knusprig gebratenes Schwein quicklebendig vorbeilaufen, aus dem nicht nur ein Rückenstück herausgeschnitten ist, sondern dem praktischerweise zudem das Tranchiermesser gleich in der Flanke steckt, während am rechten Bildrand eine Art Kaktus wächst, der aus Brotlaiben besteht. Aber das ist sowieso die wichtigste Erkenntnis einer Ausstellung, die uns den kindlichen Blick zurückgibt: dass große Kunst auch zum Lachen anregen kann.ALEXANDER ALTMANN

Bis 5. Juli,

täglich außer Mo. 10 bis 18 Uhr, Di. und Mi. bis 20 Uhr.

Artikel 1 von 11