Von wegen glorreiches England

von Redaktion

„28 Years Later“ bewegt sich zwischen Brexit-Satire und Action

Der grandiose Ralph Fiennes als Dr. Kelson. © Sony

Der englische Gap Tree steht noch. In unserer Realität wurde der symbolträchtige Berg-Ahorn neben dem Hadrianswall 2023 von zwei Vollidioten aus Spaß gefällt. Aber in der Welt von „28 Years Later“ wurde Großbritannien 2002 vom „Wut-Virus“ überrollt. Und existiert seither entvölkert, von der Weltgemeinschaft abgeschnitten, in wundersamer Isolation. Ein aus der Zeit gefallenes Königreich.

In dieser Welt wächst der zwölfjährige Spike (Alfie Williams) auf, ein Überlebender in einer befestigten Insel-Enklave. Er ist mit seinem Vater (Aaron Taylor-Johnson) zur Bewährungsprobe auf Beutezug in Nordengland, in Gedanken aber daheim bei der verwirrten, kranken Mutter (Jodie Comer), für die er Rettung ersehnt.

Der Film ist voller Nationalsymbole. Er lässt seinen jungen Helden am Gap Tree vorbeispazieren und am „Engel des Nordens“. Er streut Filmeinsprengsel aus Ritterepen und Weltkriegsdokus ein und lässt das Kolonial-Imperium im Stampfschritt von Kiplings Gedicht „Boots“ aufhallen. Seine neuen, „Alphas“ genannten Endgegner-Zombies haben deutliche Ähnlichkeit mit dem „Green Man“ aus der englischen Folklore. Aber „28 Years Later“ blickt spöttisch auf die Vision vom glorreichen Großbritannien. Und ist selbst alles andere als eine nostalgische Unternehmung. Danny Boyle und Autor Alex Garland wollen nicht erinnern an „28 Days Later“. Sondern die frische Wildheit, Energie fassen, mit der sie erstmals Zombies lossprinten ließen. „28 Weeks“, nicht von ihnen verantwortet, ignorieren sie dabei weise.

Als Update zu der rohen Camcorder-Ästhetik von einst packt Kameramann Anthony Dod Mantle das iPhone aus (mit viel Profi-Kino-Optik vor dem Sensor). Der Film hat eine atemberaubend waghalsige Bereitschaft, komplett das Steuer herumzureißen, sobald man sich auf sicherem Terrain fühlt. Von der Brexit-Satire wird er zur Splatter-Action mit Freude an grotesken Kills und Spektakeln wie einem Damm-Wettrennen vor Nordlichtern zum „Rheingold“-Vorspiel. Er schwenkt zu einem emotionalen Coming-of-Age-Drama, inspiriert von Ken Loachs Klassiker „Kes“. Und er endet mit einem Fortsetzungs-Ausblick im Stil bizarrer japanischer Kung Fu-Fantasy.

Doch inmitten des Untoten-Sterbens lässt der Film Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ schlagen. Mit einem grandiosen Ralph Fiennes als Variante von Mr. Kurtz in einem Knochenturm-Schrein. 23 Jahre liegen zwischen „28 Days“ und „28 Years“. Und für eine Weile wird das neue Werk zu einer ernsten, berührenden Elegie über das Akzeptieren der Vergänglichkeit.THOMAS WILLMANN

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