URAUFFÜHRUNG

Zefix, is des guad

von Redaktion

„Brandner Kaspar“ von Franz Xaver Kroetz

Der Dramatiker Franz Xaver Kroetz. © Karin Rocholl

Konfrontation am Gipfelkreuz: Der Boanlkramer (Florian von Manteuffel, li.) stellt dem Brandner Kaspar (Günther Maria Halmer) nach: „Der is wias Unkraut, der vagäd ned.“ © SANDRA THEN

Die Welt des Brandner ist in Schieflage, ganz so wie seine Stubn auf der Bühne des Münchner Residenztheaters. Dort stehen Bett und Nachtkastl recht abschüssig im Raum, und der Brander, ja, der hadert: mit der Tochter, dem „Flietscherl“, mit Jesus, mit dem, was los ist in der Welt, und mit dem eigenen Leib (das Knie!), den die Kraft verlässt. Später wird bei ihm daheim, „in der Gegend um Schlier- und Tegernsee herum“, noch mehr ins Rutschen geraten. „Lebn moge nimma“, stellt der Brandner darob bald fest. „Bloß hoaßt des no lang ned, daße sterm wui.“ Ein Sturschädel war er schon immer – Franz Xaver Kroetz zeichnet die Figur nun obendrein als grantigen Grübler vor dem Herrn.

Endlich war Premiere am Bayerischen Staatsschauspiel: Wie berichtet, hätten die „Gschichtn vom Brandner Kaspar“, das neue Werk vom Kroetz, vergangenen Samstag uraufgeführt werden sollen (da ist er wieder, der Konjunktiv, der so viele Szenen im Stück dominiert). Doch musste der Termin verschoben werden, da Hauptdarsteller Günther Maria Halmer erkrankt war. Ganz hergestellt ist er auch an diesem Mittwoch nicht. Das aber tut dem Erfolg der Inszenierung von Philipp Stölzl keinen Abbruch. Mehr als zehn Minuten lang feiert das Publikum am Ende seine Produktion mit Standing Ovations und ausgelassenem Jubel. Bereits vor Beginn gab’s Szenen mit Seltenheitswert an Münchens Sprechbühnen: Menschen mit „Suche Karte“-Schildchen hofften auf ein Einsehen des Theatergottes.

Zefix, es ist aber auch gut, was in diesen knapp zwei Stunden passiert. Kroetz führt die Mundarterzählung, die Franz von Kobell 1871 in den „Fliegenden Blättern“ publizierte (und die dessen Ururgroßneffe Kurt Wilhelm 1975 fürs Residenztheater dramatisiert und inszeniert hat), auf ihren Kern zurück. Auf Wilhelms ergänzende Handlungsstränge verzichtet er in diesem Auftragswerk fürs Staatsschauspiel. Sein Volksstück in vier Akten konzentriert sich auf die Beziehung zwischen Brandner und dem Boanlkramer, dem Kroetz das „d“ verweigert.

Was sich mager lesen mag, entwickelt auf der Bühne eine enorme Kraft – und zeigt einmal mehr das große Talent dieses Schriftstellers, in knappen Sätzen auf den Punkt zu kommen und dabei ganz viel zu erzählen. Eindrucksvoll hatte Kroetz dies zuletzt in seinem Band „Ich spür Herbst“ (2021) gezeigt, der Gedichte versammelt, die tastend, behutsam und dennoch wuchtig sind.

Mit Philipp Stölzl hat das Haus einen Regisseur gefunden, der Kroetz wohltuend ernst nimmt. Denn der Autor wünscht sich, dass „nur alte Theatermittel“ verwendet werden und meint „viele gemalte Prospekte, Licht, Musik und sonstigen (Bühnen-)Zauber, damit ein zartes Geflecht aus ländlich-idyllisch, süddeutsch-barock, grausam und lustig entsteht“. Und so hat Stölzl zusammen mit Franzsika Harm eine herrlich altmodisch-realistische Bühne gebaut, eine begehbare Bauernmalerei. Selbst Simon Wimmers zurückhaltend eingesetzte Videoprojektionen atmen den Charme des Handgemachten und sorgen für hinreißende Poesie.

Als Filmemacher („Schachnovelle“, „Medicus“), Regisseur für Musik- („Freischütz“ in Bregenz) und Sprechtheater (am Haus etwa „Andersens Erzählungen“) weiß Stölzl, wie Bilder auf Bühnen funktionieren. Und er ist sich bewusst, dass die schönsten Bauten nichts sind ohne die Menschen, die sie bespielen.

Halmer gibt der Titelfigur eine knorrige Tiefe, eine Wut und auch Verzweiflung über den Weltenlauf, den sein Brandner nicht verstehen kann und will. Der Schauspieler, 1943 in Rosenheim geboren, und Florian von Manteuffel, der 1973 in München zur Welt kam, haben freilich auch das „verglühte Oberbairisch“ drauf, das Kroetz fordert.

Mit dem Boanlkramer hat der Autor eine Figur skizziert, die Gegenpol ist zum grübelnden Brandner: Florian von Manteuffel lässt den Tod zwar nie zur Spaßnummer verkommen, nimmt ihm nicht seinen Ernst. Doch zeigt er mit seinem Slapstick-Talent, mit seiner Rollengestaltung, die kernig zwischen Vincent Vega aus „Pulp Fiction“ und Freddie Frinton in „Dinner for One“ changiert, dass man auch mit „Santa Muerte“ gut lachen kann. MICHAEL SCHLEICHER

Nächste Vorstellungen

am 22. Juni (ausverkauft), für die Vorstellungen am 8. und 20. Juli gibt es noch Restkarten, außerdem am 27., 28. und
29. Juli; Telefon 089/21 85 19 40.

Artikel 9 von 11