Die Melodie ist so simpel, die kann wirklich jeder mitsingen, animiert Jeff Tweedy sein begeistertes Publikum auf dem ausverkauften Dachauer Rathausplatz. Es ist das Gitarrenriff des Songs „Spiders (Kidsmoke)“, den die Band Wilco nach gut zehn Minuten zu einem wahren Krachmonster aufgeschichtet hat und der nun fast physisch der barocken Jakobskirche gegenübersteht. Dieses massive Riff, das es jetzt mitzusingen gilt. Und zwar von allen, auch denen, die Singen zu peinlich finden.
14 Jahre waren die Chicagoer nicht mehr im Lande, damals hatten sie längst den Ruf, die insgeheim beste Rockband der Welt zu sein. Insgeheim deshalb, weil Tweedys Songs zwar zu den warmherzigsten, euphorischsten, rührendsten seiner Generation zählen, „Via Chicago“, „Impossible Germany“ oder „I am trying to break your Heart“, aber auch dieses gewisse Lärm-Element in sich trugen – ein Quietschen, Fiepen, Kratzen, als wehten sie auf einer schwachen RadioMittelwelle zu einem heran. Zu widerborstig für den Massengeschmack. Heute aber werden sie als Klassiker gefeiert.
Fürs Fiepen ist auch an diesem lauen Fronleichnamsabend vornehmlich Nels Cline zuständig, einer von drei Gitarristen des ergrauten Sextetts, der sein Instrument handhabt wie einen ExperimentierBaukasten. An anderer Stelle spielen sie eng verzahnten Country-Rock wie The Grateful Dead, und bei „California Stars“ trifft ein Text von Folk-Legende Woody Guthrie auf die Harmonien der Beach Boys. Bevor er die Leute mit „I got you“ in die laue Sommernacht entlässt, freut sich Tweedy noch, dass ein Zuschauer seine Frau auf die Schultern genommen hat. „Das gibt’s fast nie auf unseren Konzerten, das schreibe ich in mein Tagebuch.“ JOHANNES LÖHR