Der Max-Littmann-Saal im Regentenbau. © Hanna Becker
Ein Intendant geht baden: Alexander Steinbeis mit dem Festivalmotto. © Hanna Becker
Der Intendant patschnass, mit triefender Kleidung durch den Kurort laufend: Geplant war das nicht. Gewollt schon, wie Alexander Steinbeis erzählt. Eigentlich war die Sache als Fototermin gedacht für die neuen offiziellen Bilder des Chefs. Und dann war noch etwas Zeit. Da habe der Fotograf gesagt: „Jetzt kletterst du einfach in den Brunnen, und ich drücke noch ein paar Mal ab.“ Offiziell sind die Fotos mit einem im Wasser chillenden Intendanten nicht geworden, wohl aber bekannt. Steinbeis, gern mit gezückter Handykamera und entsprechend viel auf Social Media unterwegs, postete sie.
Irgendwie passt die Aktion zum Festival. Den Kissinger Sommer im ehrwürdigen Städtchen an der Rhön gibt es zwar seit 39 Jahren. Doch Steinbeis, im vierten Jahr hier Intendant, jubelt dem Publikum auch visuelle Frechheiten unter. Frankreich ist heuer das Festspielthema. Auf dem Plakat hält eine Dame ein Macaron in den spitzen Fingern, in die Frisur hat sie sich ein Croissant geflochten. Auch in der Broschüre gibt es Schmunzelbilder, etwa das mit der blau berockten Frau, die kopfüber in einer Loge steckt. Dazu das Festspielmotto „Je ne regrette rien“ – „ich bedauere nichts“.
Gesungen wird Edith Piafs Chanson mutmaßlich im Finalkonzert am 20. Juli von Vladimir Korneev, er wird begleitet vom Münchner Rundfunkorchester. Ein Festival à la française, das ist der Kissinger Sommer 2025. Im Eröffnungskonzert sitzt das Orchestre Philharmonique de Radio France auf dem Podium des Max-Littmann-Saals, ein neoklassizistischer Traum in Holz. Solist Jean-Yves Thibaudet spielt das fünfte Klavierkonzert von Camille Saint-Saëns. Formvollendet, mit selbstverständlicher Virtuosität, großer Clarté und Konturen selbst im weich gezeichneten Andante. Die Comic-Musik des Schlusssatzes entfaltet hintergründigen Witz. Ein Stilist.
Hier wie auch in Debussys Faun-Prelüde oder „Don Juan“ von Strauss zeigt Dirigent Mikko Franck große Kapellmeisterqualität. 14 Stunden später sitzt Thibaudet im neobarocken Weißen Saal und lässt sich von Intendant Steinbeis befragen. „Auf einen Kaffee mit…“ nennt sich das Format. Thibaudet schwärmt von der menschlichen Stimme in ihrer Vollkommenheit, alle Instrumente seien nur unzureichende Nachahmer. Und er berichtet von seiner Begegnung mit Brigitte Fassbaender (sein Eintauchen in die Liedbegleitung war das) und davon, dass er sich mit Schwimmen, seinem privaten Gymnastikraum und mit mindestens acht Stunden Schlaf fit halte, das dürfte er in der Nacht zuvor nicht erreicht haben.
Das Festivalland spiegelt sich in den Programmen wider. Das Philharmonische Orchester aus Liège, Cellist Gautier Capucon, die Barockorchester Les Arts Florissants und Les Siècles, sie alle kommen nach Bad Kissingen. Ansonsten hat Steinbeis das Who’s who verpflichtet: das BR-Symphonieorchester, die Bamberger Symphoniker, Christian Gerhaher, Igor Levit und noch viele mehr sind in dem unterfränkischem Ort zu erleben. Aber ausgerechnet Frankreich? Alexander Steinbeis zählt auf: die Städtepartnerschaft mit Vernon, die Besuche Rossinis oder zweier Cousins Napoleons. Vor allem aber das europäische Bewusstsein, 2023 zum Beispiel wurde mit Italien „La dolce Vita“ gefeiert.
Ein Drittel lokales Publikum, ein Drittel regionales im Radius bis Frankfurt, ein Drittel internationales, diese Struktur gibt es laut Steinbeis schon länger. Am heißen Eröffnungswochenende flaniert man durch Kurpark oder Rosengarten. Die Freiflächen von Cafés und Restaurants sind meist voll besetzt. Die Atmosphäre, als Europas obere Zehntausend hier kurten, ist noch zu spüren. Das letzte Foto von Kaiserin Sisi an der Seite ihres Mannes Franz Joseph schoss ein Paparazzo im Kurgarten. Wer mag, gönnt sich wie die historischen Promis Heilwasser, das in der größten Wandelhalle Europas, eine Jugendstilpracht, aus dem Boden sprudelt oder hierher geleitet wird. Das aus dem Maxbrunnen schmeckt frisch, das aus der Quelle Pandur eher salzig, etwas metallisch. Letzteres ist gut gegen Magen-Darm-Probleme, man sollte vor den Konzerten nicht zu viel davon trinken.
Den Heil-Gedanken hat Steinbeis auf ungewöhnliche Art umgesetzt. Unter dem Motto „Gesund durch Musik“ werden Konzerte gestreamt. Patienten in Seniorenheimen, Reha-Kliniken oder Kinderkrankenhäusern werden gezielt angesprochen. Alle diejenigen also, für die ein Konzertbesuch nicht möglich ist. In den Institutionen werden die Programme in die Aula oder in den Speisesaal übertragen.
Das Nachmittagskonzert am zweiten Tag ist im Rossini-Saal, eine Augenweide in gedeckten Grüntönen, mit Kassettendecke und in Form einer Basilika. Dort sitzt das Fauré-Quartett und spielt, natürlich, Französisches. Vor allem das Klavierquartett von Mel Bonis (1858-1937) lässt aufhorchen. Gegen den Willen ihrer Familie studierte sie Komposition. Ihr Werk ist eine Reise von fantasiereichem Melos am Rande der Tonalität bis zur großen Emphase. Viereinhalb Musikwochen, damit erreicht Bad Kissingen die Dimensionen einer großen Konkurrenz. „Die Salzburger Festspiele heißen bei uns Kissinger Sommer“ prangt frech auf einem Plakat. Und für 2026, zum 40. Geburtstag des Festivals, hat sich Alexander Steinbeis Großes vorgenommen: „Da brennen wir ein Feuerwerk ab.“
Informationen
zum Programm unter
kissingersommer.de.