PREMIERE

Verdi als Buddhist

von Redaktion

Glücksmomente beim Start des Immlinger Festivals mit „La forza del destino“

Unterm fernöstlichen Schicksalsrad: Yunuet Laguna als ideale Interpretin der Leonora. © Verena von Kerssenbrock

Operntexte können schon ein wenig konfus daherkommen. Wie gut also, dass meist die Musik an erster Stelle steht, deren Stärke nun auch bei der Premiere von „La forza del destino“ auf Gut Immling für tosenden Applaus sorgte. „Die Macht des Schicksals“ ist wohl eine der kuriosesten Opern von Giuseppe Verdi. Ein episches Abenteuer, mitten in den Wirren des Krieges. Wobei sich das zentrale Liebespaar lediglich in der Anfangs- und Schluss-Szene kurz begegnet.

Was auf den ersten Blick vielleicht irritiert, war für den Komponisten willkommene Gelegenheit, aus Genre-Konventionen auszubrechen. Und das unterstreicht auch Regisseurin Verena von Kerssenbrock, die das um Schuld und Vergebung kreisende Drama aus seinem christlichen Kontext löst und um spirituelle Elemente aus dem Buddhismus und Hinduismus erweitert. Als ewigen Kampf zwischen Licht und Dunkel, die sich hier als allegorische Figuren unter tibetische Mönche mischen.

Dieses Konzept erlaubt es vor allem Lilli Hartmann, mit ihren fantasievollen Kostümen einen exotisch farbenfrohen Kosmos zu öffnen, obwohl man unterm fernöstlichen Schicksalsrad natürlich immer noch vom Kreuz oder der Heiligen Jungfrau singt und die Schrecken des Krieges trotz Stilisierung in aller Schonungslosigkeit spürbar werden.

Ein Sonderlob geht diesmal an den Festspielchor, der sich am Premierenabend glänzend präsentiert. Egal ob im wilden Schlachtgemenge, in geselliger Wirtshausrunde oder bei den weihvollen Gesängen der Klosterszene. Das rundum homogen agierende Ensemble gibt sich keine Blöße und vermag nicht nur durch seine Klangwucht zu beindrucken, sondern gerade auch in den ruhigen Momenten zu berühren.

Ähnliche Glücksmomente beschert die mexikanische Sopranistin Yunuet Laguna. Sie hatte in Immling bereits 2024 als Aida für Begeisterung gesorgt und wächst nun noch einmal über sich hinaus. Eine durch alle Lagen kraftvolle Sopranstimme, die dank des lyrischen Kerns die innere Zerrissenheit Leonoras perfekt einfängt und auch bei den dramatischen Höhenflügen stets farbenreich leuchtet. Mithalten kann in erster Linie Giorgi Chelidze. Ein weiterer Immling-Veteran, um dessen nachtschwarzen Bass manches große Opernhaus das Festival beneiden dürfte. Dieser balsamisch weichen Darbietung stellt Stefano Meo kantigere Töne entgegen, die dem rachsüchtigen Carlo aber gut zu Gesicht stehen. Gerade weil Meo so seinem überschwänglichen Tenor-Kollegen Ragaa Eldin Paroli zu bieten weiß, den Dirigentin Cornelia von Kerssenbrock ab und zu wieder einfangen muss.

Bei der Ouvertüre und im ersten Bild sind auch sie und ihr Orchester noch etwas in der Findungsphase. Doch je näher man den Schlachtfeldern kommt, umso mehr gewinnt von Kerssenbrocks Lesart an Schärfe und Kontur. Inklusive einer Verneigung vor Verdis Ahnherr Donizetti, den sie in den humoristischen Szenen des Fra Melitone durchblitzen lässt. Und so kann man dem 30. Immling-Geburtstag im kommenden Jahr entspannt entgegenblicken, wenn neben „Tosca“ und „Un ballo in maschera“ auch die „Lucia di Lammermoor“ ins Chiemgau zurückkehren soll. Bis dahin hat aber auch die aktuelle Saison noch einiges zu bieten.TOBIAS HELL

Weitere Vorstellungen

am 29. Juni, 18. Juli, 2. und
9. August; Informationen zum Festival unter ww.wimmling.de

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