Vladimir Jurowski dirigiert die Premiere. © Schied
„Ein Leben auf Kosten anderer“: Szene mit Don Giovanni (Konstantin Krimmel) und Donna Anna (Vera Lotte-Boecker). Premiere ist an diesem Freitag. © Geoffroy Schied
Neben Wagner und Strauss zählt Mozart zu den Hausgöttern der Bayerischen Staatsoper. Da versteht es sich von selbst, dass Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski den neuen „Don Giovanni“ zur Chefsache macht. Premiere ist an diesem Freitag im Rahmen der Opernfestspiele.
E. T. A. Hoffmann nannte „Don Giovanni“ die „Oper aller Opern“. Was macht dieses Werk so zeitlos?
Die Mischung der Stile macht seine Einzigartigkeit aus. Elemente der Commedia dell‘arte vermischen sich mit denen des Übernatürlichen. „Don Giovanni“ ist von allen Mozart-Opern wahrscheinlich die, die am schwierigsten zu platzieren ist, was die Stilistik angeht. Es ist ein Stück, welches sowohl im 18. als auch im 19. Jahrhundert angesiedelt ist und teilweise sogar verstohlen ins 20. Jahrhundert blickt. Es gibt Elemente, die schon damals eher historisierend gewirkt haben müssen. Aber dann gibt es andere Dinge, die ihrer Zeit sehr voraus sind und ins Zeitalter der Romantik führen.
Für welche Fassung haben Sie und Regisseur David Hermann sich entschieden?
Der erste Akt ist bei uns strikt nach der Prager Uraufführung gehalten. Im zweiten Akt kommt aus der Wiener Fassung die Elvira-Arie „Mi tradì“ hinzu, aber die ursprüngliche Arie des Don Ottavio „Il mio tesoro“, die in der Wiener Fassung gestrichen wurde, fällt dabei nicht weg.
Und das Finale? Hören wir nur die Höllenfahrt oder auch das Fazit der Überlebenden?
Da wird es jetzt interessant. Man dachte lange, dass es die „Scena Ultima“ 1788 in Wien nicht gegeben hätte, aber das wurde inzwischen widerlegt. Das glückliche Ende sollte erst gestrichen werden, kam dann aber in der Wiener Premiere doch. Allerdings mit einem großen Sprung, für den Mozart selbst eine neue Überleitung komponierte.
Was ändert sich durch diesen Strich?
Es wirkt sehr viel brutaler und abrupter, weil die ganze letzte „lyrische“ Unterredung zwischen Ottavio und Anna fehlt und auch die anderen Protagonisten uns nichts mehr davon erzählen, was sie nach dem Tod des Bösewichts aus ihrem Leben machen wollen. Dieser neue, unsentimentale Schluss fühlt sich einfach richtiger an, weil es nach der letzten Arie von Anna für deren Beziehung mit Ottavio eigentlich keine Zukunft mehr geben kann. Da kommt Mozarts Genie nicht nur musikalisch, sondern auch unter musikdramatischen Aspekten voll zum Tragen. Er muss es gespürt haben, dass es an dieser Stelle wahrscheinlich zu viel des Guten war. Also unterbricht er alle Singenden fast mitten im Satz und springt direkt auf „Resti dunque quel birbon con Proserpina e Pluton“ („Bleibe dieser Schuft nun bei Proserpina und Pluto“), danach gibt es nur noch das rasende Presto mit der „Schlussmoral“.
Der Gott der Unterwelt und seine Gattin finden sich auch auf dem Besetzungszettel. Können Sie dazu schon etwas verraten?
David Hermann hat mir bei unserem ersten Treffen gesagt, dass er seine Interpretationsideen gern aus den Stücken selbst schöpft. Und da ist auch er an der besagten Stelle im Finale hängen geblieben. Proserpina und Pluto sind bei uns quasi eine Art Patrone, aber auch Verfolger, ja sogar Peiniger der handelnden Figuren. Sie symbolisieren vor allem eine unglückliche Zwangsehe. Die Folgen dieser Ehe werden wir sehr deutlich miterleben. Die Einführung der beiden Götter in die Handlung der Oper ist irgendwie auch ein Behelfskonstrukt, um Don Giovanni ein bisschen auf die Sprünge zu helfen und einen frischen, unverkrampften Blick auf diesen in der heutigen Zeit doch etwas schwer verdaulichen „Antihelden“ zu erlauben. Denn von allen Personen des Stücks ist er die am wenigsten greifbare, viel eher ein Mythos als ein lebendiger Mensch.
Haben Sie Sympathien für den Titelhelden – oder verdient er seine Höllenfahrt?
Die Höllenfahrt verdient er allemal, schließlich wählt er sie freiwillig, wenn er vor die Wahl gestellt wird, sich zu bessern oder zu sterben. In Mozarts Stücken gibt es, übrigens genauso wie bei Shakespeare, keine endgültigen Bösewichte, genauso wie keine vollkommenen Heiligen. So auch Giovanni, der trotz seiner sehr verwerflichen Einstellung den Frauen gegenüber und sogar trotz seiner Empathielosigkeit für irgendwelche anderen Lebewesen gewisse Sympathien wecken kann. Erstens kann er wirklich schön singen! Zweitens hat er keine Angst vor nichts und niemand, nicht einmal vor dem Tod. Drittens liebt er über alles seine Freiheit. Und schafft es, natürlich auf Kosten anderer, in dieser unfreisten aller Welten komplett frei zu sein. Wenn er von einem jungen, superbegabten Sängerschauspieler wie Konstantin Krimmel verkörpert wird, sehen wir in Giovanni eher einen jungen Wilden, der die ihm verhasste Alte Welt zum Einstürzen bringen will und stattdessen selber in die Hölle fährt. Also eher einen schillernden, egozentrischen jungen Rockstar als einen perversen, überreifen Machtmenschen. Mit dieser Lesart kann ich ganz gut leben, weil sie der Musik von Mozart nicht widerspricht.