PREMIERE

Zwischen Dildo und AfD

von Redaktion

„Käfig voller Narren“ am Staatstheater Nürnberg

Funktioniert die Tarnung? Georges (Martin Berger, li.) und Gaines Hall (Albin). © Olah

Das Riesengemächt in Gold, der größte Dildo mindestens Frankens, soll weg. Ein XXL-Kondom in Schwarz übergezogen, ein Kruzifix darangehängt – das müsste, so denkt sich das berühmteste schwule Paar der Musicalgeschichte, als Tarnung reichen. Und tatsächlich: Edouard Dindon, rechtsextremer Regionalpolitiker, schöpft keinen Verdacht. In Nürnberg trägt der Mann Uniform in hellem Blau mit Rot, es sind die Farben der AfD. Und auch wenn die 42 Jahre alte Sause „La Cage aux Folles“ stauben mag: Inhaltlich ist der „Käfig voller Narren“ topaktuell.

Offene Homophobie oder zumindest Tendenzen bis zu Julia Klöckners Verweigerung der Regenbogenfahne am Reichstag, so etwas bestimmt wieder die Debatte. Das „gesunde Volksempfinden“ akzeptiere „eher eine Schlampe als eine Tunte“, heißt es einmal im Musical. Zumindest in Ländern jenseits des früheren Eisernen Vorhangs geht dies manchem problemlos über die Lippen. Am Staatstheater Nürnberg gibt es also keinen Blick ins Musical-Museum. Ästhetisch (Ausstattung: Stephan Prattes) könnte alles locker von heute sein. Im Finale werden Regenbogenflaggen geschwenkt und Handzettel im Publikum verteilt: „Nie wieder still“ – am 9. August ist Demo in der fränkischen Metropole.

Die Absicht von Regisseurin und Choreografin Melissa King ist aller Bühnenehren wert. Doch die Aktualisierung driftet auch ins Gewollte, ins Zaunpfahlwinken. Jeder, der sich den „Narrenkäfig“ gönnt, weiß um den sozialpolitischen Subtext. Ein alterndes Männerpaar, der eine Nachtclubbesitzer Georges, der andere Showstar Albin alias Zaza, dazu Georges‘ Sohn Jean-Michel, der – quel horreur – eine Frau heiraten will, die von rückständigen Eltern geplagt ist, denen nun eine „normale“ Familie vorgespielt werden soll: Aus dem Clash zwischen Heterowelt und Homo-Universum bezieht „La Cage aux Folles“ seinen Humor und seine Subversivität.

Die Aufführung lebt von den Kostümen. Ansonsten bleibt das Setting eher reduziert, abgesehen von der Retro-Tapete mit Regenbogenherzen, Muschis und Pimmeln als Ornamenten. Martin Berger (Georges) und Gaines Hall (Albin) treiben ihre Figuren nicht in die Karikatur. Man erlebt zwei Männer im Spätsommer, die Beziehungskrisen deshalb lösen, weil es da nach vielen Jahren noch etwas gibt: echte Liebe. Sehr nachvollziehbar ist dies, vor allem weil Gaines Hall keine Fummeltrinendiva ist, sondern seinen Lebensentwurf als glaubhafte Möglichkeit zeigt.

Gesingspielt wird hochachtbar bis stark, auch von Terry Alfaro als „Zofe“ des Paares. Jürgen Grimm am Pult der Staatsphilharmonie spielt seine Musical-Erfahrung aus, weniger die mit der Akustik: Manches klingt zu aufgedonnert, das Haus hat seine Tücken. Choreografien wie das Trampolin-Ballett sind fantasiereich. Doch manchmal hebt der Abend nicht richtig ab, der Glamour ist dann behauptet, die Umdrehungszahl nicht ganz stückgemäß. Am Gärtnerplatz, wo das Stück ebenfalls läuft, ist das Timing besser. Warum Nürnberg den „Käfig voller Narren“ als zweites bayerisches Staatstheater auch spielen muss, wird sich mancher fragen. Vielleicht, weil das Stück gerade brisanter ist als die „Zauberflöte“?MARKUS THIEL

Weitere Aufführungen

am 26., 30. Juni, 8., 13., 18., 20., 29. und 30. Juli;
Telefon 0911/ 660 69 60 00.

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