Und was ist mit der Politik?

von Redaktion

„Evita“ als netter, glattgebügelter Abend auf der Augsburger Freilichtbühne

Immerhin viele Schauwerte liefert die Inszenierung von Florian Mahlberg, hier eine Szene mit Katja Berg in der Titelrolle und Alexander Franzen als Peron. © Jan-Pieter Fuhr

Kurz vor 22 Uhr ist er endlich gekommen. Der große Augenblick, dem das Publikum auf der Augsburger Freilichtbühne entgegenfiebert. Wenn Katja Berg in der Titelrolle von Andrew Lloyd Webbers „Evita“ auf dem Balkon erscheint, um „Wein nicht um mich Argentinien“ anzustimmen. Und dass Berg den Hit der Show absolut makellos abliefert, versteht sich bei einer Sängerin ihres Formats von selbst. Ein Moment des Triumphs. Für die Bühnenfigur ebenso wie für die Interpretin.

Trotzdem: So wirklich glücklich wird man mit der Inszenierung von Florian Mahlberg nicht. Die kontroversen Aspekte im Leben der argentinischen Präsidenten-Gattin bleiben meist ähnlich unerforscht wie Parallelen zur aktuellen politischen Landschaft. Ausgangspunkt ist für Mahlberg der in Südamerika am 2. November gefeierte „Tag der Verstorbenen“, den Kostümdesignerin Nora Johanna Gromer mit der Maskenabteilung des Augsburger Staatstheaters bildgewaltig heraufbeschwört. Doch nach diesem starken Prolog wird es mit dem Einstieg in die eigentliche Handlung zunehmend braver. Mag Hannes Staffler als Che auch in bester CroonerManier immer wieder seine sarkastisch bissigen Kommentare einstreuen.

Evitas Wandlung von der charismatischen Radiomoderatorin zur gefährlichen Demagogin, die das Volk mit ihren Versprechungen einlullt, wird von unserem Erzähler zwar immer wieder behauptet, aber nicht in letzter Konsequenz gezeigt. Katja Berg bekommt kaum Gelegenheit, gegen ihre sympathische Bühnenausstrahlung anzuspielen und unter der strahlende Oberfläche zu schürfen. Am ehesten vielleicht noch im Finale des ersten Aktes, wo sie das Ensemble mit kräftiger Belt-Stimme aufwiegelt. Doch unterm Strich zeigt die Regie vor allem das polierte Image der feministischen Ikone und Patronin der Armen. Während die weniger schmeichelhaften Aspekte in Evitas Lebens meist in großen revuehaften Tanzeinlagen verpackt werden und eher unauffällig vorbeirauschen. Was umso mehr irritiert, als das Programmheft selbst dem Stück vorwirft, lediglich das Image der „Santa Evita“ weiter zu fördern. Und das, obwohl schon die UraufführungsProduktion darum bemüht war, dem Heiligenschein den Lack abzukratzen und damit in Argentinien durchaus Gegenwind provozierte.

Ecken und Kanten hat in der Inszenierung eigentlich nur Evitas Ehemann. Alexander Franzen gibt den argentinischen Diktator Peron, der Hitler und Mussolini bewunderte, als eiskalten Machtmenschen. Selbst beim ersten Flirt mit seiner Zukünftigen bleiben die Gefühle weitgehend unter Verschluss. Und es scheint, als würde ihn weniger die Frau selbst interessieren, sondern vielmehr die Faszination, die sie auf das leicht zu manipulierende Volk ausübt. Wer in dieser Beziehung nun genau wen zugunsten der eigenen Ambitionen manipuliert, bleibt interessanterweise oft im Unklaren. Ein Potenzial, das von der Regie aber nur allzu selten genutzt wird.

Stattdessen begegnen wir einer neu hinzuerfundenen stummen Rolle, die der Besetzungszettel als „La Vida“ ausweist. Eine junge Frau, die immer wieder bedeutungsvoll über die Bühne schreiten darf, aber nur selten mit den drei zentralen Charakteren interagiert. Womit diese Regie-Idee ähnlich versandet wie das glattgebügelte Dirigat von Sebastiaan van Yperen. „Evita“ ist in Augsburg ein netter Musical-Abend mit großen Stimmen und vielen Schauwerten. Doch gerade bei diesem politisch hochbrisanten Stück ist „nett“ eben nur ein eingeschränktes Kompliment.TOBIAS HELL

Vorstellungen

bis 1. August;
nähere Informationen unter www.staatstheater-augsburg.de.

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