Der andere hat Schuld: Don Giovanni (Konstantin Krimmel, re.) muss sich in der Inszenierung David Hermanns mit Unterweltherrscher Pluto (Andrea Scarfi) plagen. © Geoffroy Schied
Drei, vier Minuten nur sind es, da ist dieser Mann vollkommen frei. In doppelter Hinsicht: weil die Teufelin wieder aus seinem Körper gefahren ist und Don Giovanni, nun unbelastet von fremden Mächten, mit einem erotischen Ständchen auf der Pirsch ist. Und weil sein Interpret Konstantin Krimmel in „Deh vieni alla finestra“ endlich ausspielen darf, wofür man diesen Bariton so liebt. Für die feine, kluge Lyrik, für seinen entwaffnend flexiblen Gesang, für die unverkrampfte, natürliche Verbindung von Wort und Klang – weit hebt ihn das heraus aus der Opern- und Liedszene.
Konstantin Krimmel debütiert als Titelheld
Es ist Krimmels erster Giovanni. Der Mann ist gerade mal 32, noch einige Engagements für diese Rolle dürften kommen, man wünscht es ihm. An seinem Heimathaus, der Bayerischen Staatsoper, hat sich nämlich Regisseur David Hermann an Mozarts letzten Partiturseiten festgebissen. Von Pluto wird da gesungen, vor allem von Gattin Proserpina. Die darf einmal pro Jahr von der Hölle Urlaub machen und an die Oberfläche. Ausgerechnet dort trifft sie auf den Lebemann, in dessen Körper sie wie ein Dämon schlüpft.
Don Giovanni als Besessener, dies auch noch von einer sagenhaften Frau, eine hübsche Pointe ist das. Doch hier, als Eröffnungspremiere der Opernfestspiele, eine sagenhafte Themaverfehlung. Wobei Hermann in der Durchführung seines Gedankens gewisse Virtuosität entwickelt. Wie Schauspielerin Erica D’Amico als Proserpina sich immer wieder mit Krimmel zu vereinigen scheint und sich von ihm trennt, wie dieser Giovanni dann effeminiert über die Szene tänzelt und sogar an Bauer Masetto herumnestelt, das bringt Gender-Gags. Vom Macho, dem das Testosteron aus jeder Pore, aus jedem Ton quillt, hat man schließlich genug.
Hermann spinnt da neue Beziehungsfäden – und verstrickt sich in ihnen. Dieser Abend ist eine Entschuldungsaktion Giovannis, die das Werk total verkennt: Wer so determiniert ist von einer fremden Macht, der ist auch frei von Sünde. Eine der schillerndsten Gestalten des Opern- und Literaturkosmos funzelt nur noch als Marionette – jeder Staatsanwalt würde auf Freispruch plädieren.
Es ist viel los in der BetonArchitektur von Bühnenbildner Jo Schramm. Die ist mal Loft mit Bett, mal Standesamt, mal Gerichtssaal, am Ende Dinnerzimmer für Giovannis letztes Abendmahl. Es gibt hinzuerfundene, heutig ausstaffierte Gestalten (Kostüme: Sibylle Wallum), parallele Handlungen, immer und überall tut sich etwas. Manchmal dauern die Verwandlungen. Der hervorragende Julian Perkins am Hammerklavier zirpt dafür Pausenmusiken, ein paar hat Dirigent Vladimir Jurowski komponiert und Mozarts Partitur dafür angezapft. Die Sache wird dadurch unnötig verlängert. Auch der Generalmusikdirektor tut sich schwer mit dem Stück. Jurowski, man hört es, hat viel nachgedacht über den „Don Giovanni“. Manches klingt tatsächlich geschärft, anders ausgehört. Doch viel zu gemessenen Schrittes ist er in seinem Mozart-Labor unterwegs. Hier dirigiert ein Physiker, kein Theatermann.
Zu den Sängerinnen und Sängern hält Jurowski kaum (Blick-)Kontakt. Er zeigt wenig Sensibilität für die Bedürfnisse des Bühnenpersonals, für den kantablen Puls von Mozarts Musik, für den ihr einkomponierten Atem. Vera-Lotte Boecker hat in ihrer buchstabierten Final-Arie am meisten darunter zu leiden. Eine grandiose Donna Anna, mit dunklem Leuchten und Rundung des Tons gestaltet, flexibel, Zwischentöne mitdenkend, alles ist intelligent erfühlt und klanglich abgebildet. Samantha Hankey, eine Donna Elvira mit konzentrierter Energie und starker Präsenz, ist ihr dicht auf den Fersen. Bei Avery Amereau ist Zerlina (auch im Gesang) kein Hascherl, sondern würdige Mitstreiterin im Trio der ausgebooteten Frauen.
Leporello als heimlicher Giovanni
Giovanni Sala, man hat ihm nur die zweite Arie gelassen, singt einen dramatischen, bewusst riskanten Don Ottavio, Christof Fischesser ist ein imposanter, nie überreizter Komtur, Michael Mofidian ein kerniger Masetto – und Kyle Ketelsen der heimliche Giovanni des Abends. Er hat als Leporello das Vokal-Erz, die raumgreifende Geste, die Grandezza, die Krimmel (noch?) fehlt. Umso kollegialer, dass Ketelsen dies nicht ausspielt. Giovannis Diener gewinnt er auch tragische Aspekte ab. Keine hibbelige Buffo-Figur ist das, sondern ein Zerknirschter, der das Schicksal seines Herrn nicht mitansehen kann. Mutmaßlich ist alles szenischer Eigenbau dieses Singdarstellers – David Hermann hätte das nutzen und weitertreiben können.
Doch der verpuzzelt sich im Konzept und verwendet zu viel Aufmerksamkeit auf seine Teufelseintreibung samt kleinteiligem Hyperrealismus. Der provoziert ungeplante Gags. Als der Komtur auf der Bahre abgefahren wird, muss dies Ottavio bei den Sanitätern quittieren – wie wär’s mit Trinkgeld? Mit Mozart hat die Bayerische Staatsoper derzeit kein Glück, nach „Così fan tutte“ und „Le nozze di Figaro“ ist dies die dritte Enttäuschung. Intendant Serge Dorny hat da etwas gemeinsam mit Vorgänger Nikolaus Bachler. Der konnte nicht mit Wagner.MARKUS THIEL
Weitere Vorstellungen
am 30. Juni, 4., 6., 8. Juli; Restkarten eventuell unter staatsoper.de.