PREMIERE

Geglückter Geburtstagsgruß

von Redaktion

Regisseurin Ini Gerath inszenierte „Carmen“ auf Gut Immling

Spielen gegen überholte Klischees an: Anastasiya Martyniuk als Carmen und Joseph Dahdah als Don José. © Nicole Richter

Eigentlich bräuchte es für eine Oper wie „Carmen“ keine großen Jubiläen als Anlass. Und doch häufen sich zum 150. Jahrestag der Uraufführung natürlich weltweit Neuinszenierungen dieses Dauerbrenners. Da macht auch das Opernfestival auf Gut Immling keine Ausnahme, wo nun Regisseurin Ini Gerath ihre Sicht auf die bekannte Geschichte zeigt und dabei tatsächlich ihren eigenen Dreh findet. Wer auf spanisches Urlaubsfeeling hofft, ist hier falsch. Denn auf der Bühne sind lediglich stilisierte Fragmente einer Stierkampfarena zu sehen.

Gerath erteilt dem Mythos der verführerischen Femme fatale eine klare Absage und lässt ihre Inszenierung mit einer Mahnwache beginnen. Schilder wie „Liebe darf nicht in Tod enden“ oder „Femizide stoppen“ erinnern hier schmerzlich daran, was auch in unseren Breiten immer noch viel zu häufig geschieht. Carmens Geschichte ist für die Regisseurin kein romantisch verklärter Einzelfall, sondern nur eine Episode im Kreislauf der Gewalt, den es als Gesellschaft zu durchbrechen gilt. Da darf die Titelheldin zwar bei ihrem Auftritt lasziv das Bein in die Luft strecken. Doch ihre roten Schuhe zitieren bereits hier jene Kunst-Installationen, mit denen Aktivistinnen seit 2009 immer wieder auf Verbrechen gegen Frauen aufmerksam machen. Daran lässt spätestens das eindrucksvolle Schlussbild keinen Zweifel.

Anastasiya Martyniuk genießt es sichtlich, in dieser Paraderolle gegen überholte Klischees anspielen zu dürfen. Und obwohl sie bei den großen Ohrwürmern wie der Habanera oder der Seguidilla natürlich alle Register ihres sinnlich timbrierten Mezzos zieht, hat sie ihre großen Momente im Dialog. Im unterkühlten Flirt mit Stierkämpfer Escamillo ebenso wie in den feurigen Auseinandersetzungen mit Don José.

Carmen ist aber nicht die einzige Figur, der die Regie besondere Aufmerksamkeit schenkt. Denn während Anton Keremidtchiev als Torero im Business-Anzug eher blass bleibt, wird in der Immlinger Neuinszenierung vor allem Josés Jugendliebe Micaela deutlich aufgewertet. Sie ist hier nicht die übliche blonde Unschuld vom Lande, sondern wirft sich ebenfalls in den sonst eher Carmen vorbehaltenen hoch geschlitzten roten Rock und initiiert am Ende ihres Duetts sogar selbst einen leidenschaftlichen Kuss. Wobei man mit Aisté Piliba eine Sopranistin gefunden hat, die es dank dramatischer Energie mit jeder potenziellen Rivalin aufnehmen kann und wenigstens vom Publikum unmittelbar ins Herz geschlossen wird.

Josés Obsession gilt jedoch ganz Carmen. Oder vielmehr seiner Idee von Carmen. Was sich unter anderem in der von Joseph Dahdah intensiv durchlebten Blumenarie zeigt. Die ist hier nämlich weniger an die Titelheldin selbst gerichtet, sondern an ihre rote Bluse, die er beim Singen in seinen Händen zerknüllt, während sie ihn vom Bühnenrand aus mit zunehmender Sorge beobachtet. Der libanesische Tenor, der hier zuletzt als Radames überzeugte, liefert auch in seinem zweiten Immlinger Sommer eine glanzvolle Vorstellung und animiert sich mit seinen beiden Partnerinnen zu immer neuen Höchstleistungen. Und die kitzelt auch Cornellia von Kerssenbrock aus ihrem Orchester. Für die Musikalische Leiterin ist es bereits die dritte „Carmen“ auf ihrem Hügel. Doch von Routine ist da nichts zu merken, wenn Kerssenbrock das Ensemble durch das rasante Schmuggler-Quintett jagt oder sie das Finale plötzlich von der leichten Opéra Comique ins existentielle Drama kippen lässt. Ein mehr als würdiger Geburtstagsgruß für eine ikonische Opernheldin.TOBIAS HELL

Weitere Vorstellungen

am 6., 19., 25. Juli und 8. August;
Tickets und Infos unter
www.immling.de.

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