Metallicas Sündenfall

von Redaktion

Das Album „Load“ vergraulte 1996 viele alte Fans – jetzt ist es neu erschienen

Schleimig: das Cover von Metallicas „Load“-Album.

Depeche Mode? Nein, Metallica! (v. li.) James Hetfield, Kirk Hammett, Lars Ulrich und Jason Newsted irritierten 1996 mit neuem Look. © Anton Cobijn / Metallica

Es gibt Sündenfälle, die verzeihen Fans ihren Lieblingsbands nicht. Noch vor ein paar Tagen, als Metallica die hochwertige Wiederveröffentlichung ihres Albums „Load“ von 1996 ankündigten, ernteten sie Spott. Grund dafür war das Bild von damals, das sie auf Instagram mitschickten. Star-Fotograf Anton Corbijn hatte die Band mit Augen-Makeup und kurzen, getönten Haaren in edle Lederklamotten gesteckt. Zur Erinnerung: Zuvor hätte das Quartett als Fashion-Accessoire maximal einen Bierbecher akzeptiert. „Das sind nicht meine Metallica!“, schreiben die Fans noch heute.

Lange hatte die Band aus San Francisco ihre Anhänger verwöhnt. Hatte Anfang der Achtziger einen ganz eigenen Stil geprägt: Thrash Metal. Schnell, hart, gemein. Gitarrenriffs zum Niederknien, James Hetfields tiefes Bellen, Drummer Lars Ulrichs Trommelfell-Dresche: Metallica dominierten die Achtziger mit dieser Formel und Alben wie „Kill ‘em all“ oder „Master of Puppets“. Ein ausgestreckter Mittelfinger gegen den Mainstream.

Doch schon mit dem „Black Album“ von 1991 bekam die Love-Story zu den alten Fans Risse. Zwar gab es darauf Riff-Monster – „Enter Sandman“, „Sad but true“. Doch die Balladen „Nothing else matters“ und „The Unforgiven“ lagen den Headbangern schwer im Magen. Streicher-Arrangements! Als Produzent Bob Rock, der schon Bon Jovi glattgebügelt hatte! Auf „Load“ sahen sich die verblüfften Jünger nun auch noch Boogie-Rhythmen („2×4“), Country-Balladen („Mama Said“) und purem Pop („Hero of the Day“) ausgesetzt. Und das von der Band, die den Metal im Namen trug! Ihr Markenzeichen – den Schriftzug mit den Haken an M und A – hatten Metallica auch über Bord geworfen. Viele Fans zweifelten da: Bekamen jetzt sie den Mittelfinger gezeigt?

Vielleicht hatten Metallica einfach Zeit gehabt, erwachsen zu werden. Die Grunge-Welle, die so viele Bands vom alten Schlag hinwegraffte, saßen sie nach dem „Black Album“ einfach aus, tourten fleißig und blickten sich zum ersten Mal in ihrer Karriere um. Hetfield schulte seine Stimme und lernte Leonard Cohen schätzen, Lead-Gitarrist Kirk Hammett übte Jazz, Lars Ulrich entwickelte sich zum Band-Manager, Bassist Jason Newsted verfolgte Nebenprojekte.

Im Studio herrschte dann ambitionierte Anything-goes-Atmosphäre. Wer etwas beitragen wollte, war herzlich eingeladen – anders als früher, wo Hetfield/Ulrich hart durchregiert hatten. So kam derart viel Material zusammen, dass man es auf zwei Alben aufteilte („Reload“ erschien ein Jahr später). Mit 79 Minuten reizt „Load“ sogar das Fassungsvermögen einer CD gnadenlos aus. Ein bisschen viel vom Gleichen – denn über mittleres Tempo kommt keiner der Songs hinaus und Bob Rock hobelte abermals sämtliche Kanten im Sound babypopoglatt.

Fällt das Urteil heute gnädiger aus? Nicht unbedingt. Viele der Songs sind gut und zeigen keine Band, die mit ihrem Latein am Ende ist, ganz im Gegenteil. Es hätte halt jemanden gebraucht, der zur Beschränkung mahnt. Bassist Newsted, der als echter Metallica-Fan zur Band gestoßen war, hatte dafür nicht das Standing, wie er im unterhaltsamen, 128 Seiten starken Buch der Deluxe-Ausgabe von „Load“ schreibt.

Eine Offenbarung sind freilich die vielen Live-Aufnahmen, die sich unter den 245 bislang unveröffentlichten Songs finden. Hier zeigt sich, dass die Ballade „Until it sleeps“ prima zwischen alte Klassiker wie „One“ und „For whom the Bell tolls“ passt. Und die vielen Cover-Versionen von alten Motörhead-Granaten weisen Metallica eben doch als kompromisslose Berserker aus und nicht als die Verräter an der reinen Lehre, als die sie viele nun abtaten.

Die Band selbst hatte an ihrem vermeintlichen Sündenfall arg zu knabbern. So sehr, dass sie sich letztlich in therapeutische Obhut begab (der großartige Dokumentarfilm „Some Kind of Monster“ von 2004 begleitet sie dabei). Später versuchte sie es ihren Fans recht zu machen – erreichte mit „härteren“ Alben aber auch nie die Klasse der Achtziger. 1996 waren sie eine Band, die etwas Neues wollte. Und das war in ihrem Fall eben nur durch Mäßigung zu erreichen. Den Mut, den es dafür brauchte, kann man heute neidlos anerkennen. JOHANNES LÖHR

Metallica:

„Load (remastered)“ (Blackened).

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