Eine lange Freundschaft verbindet unseren Autor Franz Alt und den Dalai Lama. © privat
An diesem Sonntag feiert der Dalai Lama seinen 90. Geburtstag – ein bedeutender Meilenstein im Leben eines Mannes, der seit Jahrzehnten als Symbol für Frieden, Mitgefühl und ethisches Handeln weltweit anerkannt ist. Sein Wirken ist untrennbar mit den Herausforderungen und Hoffnungen unserer Zeit verbunden.
Er wurde als Tenzin Gyatso am 6. Juli 1935 in einem tibetischen Dorf geboren und mit vier Jahren als Reinkarnation des vorherigen Dalai Lama erkannt. Seit seiner Flucht aus Tibet 1959 lebt er im Exil in Indien und setzt sich unermüdlich für die Rechte seines Volkes, den Weltfrieden und die Förderung einer säkularen Ethik ein. Seine Botschaft ist geprägt von Mitgefühl, Gewaltlosigkeit und der Überzeugung, dass menschliche Werte universell sind – unabhängig von Religion oder Kultur.
Seine Lebensgeschichte ist eine Inspiration: Trotz politischer Verfolgung hat er nie den Glauben an das Gute im Menschen verloren. Stattdessen hat er stets betont, dass jeder die Fähigkeit besitzt, Mitgefühl zu entwickeln und so zu einer friedlicheren Welt beizutragen. Selten habe ich in meinen 35 Jahren bei der ARD einen so sympathischen und zugleich humorvollen Interviewpartner erlebt. Keiner hat dabei mehr gelacht als er. Sein tiefes, gurgelndes „Ha ha ha“ ist weltberühmt.
1982 hatten meine Frau Bigi und ich mit einer Acht-Millimeter-Kamera heimlich und ohne chinesische Aufpasser für die ARD einen Film in Tibet gedreht. Bigi war lange vor mir an Tibet und am tibetischen Buddhismus interessiert. Etwa 50 Tibeter schilderten in unserem Film unzensiert ihre grauenhaften und leidvollen Erfahrungen unter der chinesischen Besatzung seit 1950. Als der Dalai Lama im November 1982 nach Deutschland kam, wurde dieser Film zu seiner Begrüßung in der ARD ausgestrahlt. Er hörte davon und bat mich, ihm den Film privat in seinem Frankfurter Hotel zu zeigen. Das war etwas schwierig, weil wir am nächsten Morgen die Geburt unserer zweiten Tochter erwarteten, bei der ich dabei sein wollte. Der Frauenarzt meinte: „Wenn Sie nach Ihrem Treffen mit dem Dalai Lama noch in der Nacht nach Hause fahren, können Sie beides haben: Ihren Dalai Lama und die Geburt Ihrer Tochter“. So kam es. In unserem Film konnten wir dokumentieren, was der Dalai Lama seit mehr als 60 Jahren anklagt: China begeht auf dem Dach der Welt „kulturellen Völkermord“. Für das kommunistische China ist Tibet eine Region, die „von ihrer abergläubischen Rückständigkeit befreit und modernisiert werden“ muss.
Nach dem Film hatte der Dalai Lama Tränen in den Augen, nahm mich in den Arm und sagte: „Wir sollten Freunde werden. Ich möchte Sie und Ihre Frau immer treffen, wenn ich nach Europa komme.“ Wir wurden Freunde und haben uns seither 40 Mal getroffen – manchmal mehrere Tage. Immer wieder ermunterte er mich in meinem Kampf für die solare Energiewende. Gemeinsam haben wir fünf Bücher geschrieben.
Der Dalai Lama betont, dass Buddhismus nur einer von vielen Wegen sei, um ethisch zu leben. Für ihn steht die Ethik im Mittelpunkt menschlichen Handelns – unabhängig von religiösen Dogmen. Diese Haltung macht ihn zu einem Vorbild für Menschen aller Weltanschauungen. Seine Botschaft lautet: Es geht nicht darum, wer Recht hat; es zählt das gemeinsame Ziel eines respektvollen Miteinanders.
Trotz seines hohen Alters bleibt der Dalai Lama aktiv in der internationalen Friedensarbeit engagiert. Seine Stimme wird gehört bei Fragen der Menschenrechte, Umwelt- und Friedenspolitik. Doch seine Botschaft stößt auch auf Widerstand – vor allem seitens China, das Tibet beansprucht und den Dalai Lama als Separatisten diffamiert. Es ist aberwitzig, dass die atheistisch-kommunistische Partei Chinas über die Nachfolge das Dalai Lama entscheiden will. Die Kommunisten in Peking wollen nicht nur die Geburtenregelung in ihrem Land, sondern auch die Wiedergeburten-Regelung bestimmen. Viele Tibeter finden das einfach lächerlich. Schon vor Jahren vertraute er mir an: „Falls es einen Nachfolger von mir geben wird, wird er aus dem freien Westen kommen. Es könnte auch eine Frau sein.“
Der Dalai Lama traf in diesen Tagen die vielleicht wichtigste Entscheidung seines Lebens: „Ich bekräftige, dass die Institution des Dalai Lama fortbestehen wird.“ Diese Entscheidung war schon deshalb schwierig, weil die kommunistische Partei Chinas den Anspruch erhebt, diese Nachfolge in ihrem Sinn zu regeln. Hier wartet der nächste Großkonflikt.
Das Vermächtnis des Dalai Lama bleibt unbestritten: Es ist das eines Mannes, der durch seine Lebenshaltung gezeigt hat, dass wahre Stärke im Mitgefühl liegt. Seine Philosophie inspiriert Generationen junger Menschen weltweit, sich für eine gerechtere und friedlichere Gesellschaft einzusetzen. In seinen zahlreichen Reden betont er immer wieder: „Wenn wir wirklich Frieden wollen, müssen wir bei uns selbst anfangen.“ Das bedeutet für ihn vor allem Selbstreflexion, Empathie entwickeln lernen sowie Verantwortung übernehmen – sowohl für sich selbst als auch für andere.
Einmal hat er mir erzählt, er habe geträumt, dass er 113 Jahre alt werde. „Wollen Sie das wirklich?“, fragte ich ihn. Seine Antwort: „Ja, dann kann ich noch lange die Chinesen ärgern.“ Das ist praktizierte und „intelligente Feindesliebe“. Seine Hoffnung ist, dass das 21. Jahrhundert trotz aller aktuellen Krisen und Kriege „noch ein Jahrhundert des Friedens, des Dialogs und einer fürsorglicheren, verantwortungsvolleren und mitfühlenderen Menschheit wird. Wir müssen endlich lernen, dass wir alle Brüder und Schwestern sind. Diese Strategie der Gewaltfreiheit und der Ehrfurcht vor dem Leben sind das Geschenk Tibets an die Welt“. Happy Birthday, dear Friend! And a long Life for your Holiness!FRANZ ALT
„Dalai Lama – Schicksalsjahre eines Auserwählten“
Den Film, in dem unser Autor von seinen Begegnungen mit dem Dalai Lama erzählt, zeigt die ARD am Sonntag um 23.15 Uhr.