Der einsame Prinzipienreiter

von Redaktion

Kleists „Michael Kohlhaas“ als beeindruckendes Solo im Metropoltheater

Auf blutigem Rachefeldzug: Michael Kohlhaas sieht sich der Willkür des Adels ausgesetzt und nimmt das Gesetz selbst in die Hand. © Joel Heyd

Kampf gegen Plastikritter: Michael Kohlhaas (Marc-Philipp Kochendörfer).

Nein, es ist nicht die Story vom Pferd, die Heinrich von Kleist in seiner berühmten Novelle „Michael Kohlhaas“ aus dem Jahr 1808 erzählt, sondern vielmehr die Geschichte von einem Pferdehändler. Insofern sollte man auch nicht darauf herumreiten, dass da ein alter Hut in der Mitte der ziemlich leeren Bühne auf einem Stuhl liegt. Denn alles andere als einen alten Hut präsentiert Hausherr Jochen Schölch jetzt am Münchner Metropoltheater, wo er „Michael Kohlhaas“ als großes Solo für den Schauspieler Marc-Philipp Kochendörfer inszenierte.

Wunderbar präsent und konzentriert trägt der zunächst puristisch den Prosatext vor und weitet die Rezitation allmählich mit dezenten, aber eindringlichen szenischen Elementen aus: wenn er von Kohlhaas‘ Rachefeldzug gegen den räuberischen Junker berichtet, legt er das bürgerliche Jackett ab, schwingt ein Schwert und ein Strahl von Blut träuft ihm von oben aufs weiße Hemd. In kurzen Filmeinspielungen auf einer riesigen Kinoleinwand im Hintergrund tritt er zudem mit historischen Kopfbedeckungen mal als Martin Luther, mal als sächsischer Kurfürst auf, was seltsam witzig und stimmig zugleich wirkt.

Meistens wird Kleists Novelle als grundlegende und komplexe Reflexion über Fragen der (zügellosen?) Gerechtigkeit verstanden. Eine Lesart, die unzweifelhaft ihren Platz hat, schließlich erleidet der Titelheld grobes Unrecht durch einen Adeligen, der ihm widerrechtlich zwei Pferde abnimmt. Kohlhaas‘ Versuch, vor Gericht Entschädigung vom Täter zu bekommen, scheitert an der korrupten Spezlwirtschaft der Großkopferten, woraufhin er das Recht selbst in die Hand nimmt und zum rasenden Rächer wird.

Schölchs Inszenierung und der beeindruckende Solist machen allerdings ganz unangestrengt und wie nebenbei deutlich, dass diese Geschichte eigentlich von einem frühen Klassenkampf erzählt: als selbstbewusster Vertreter des aufstrebenden „Dritten Standes“ begehrt der wohlhabende Bürger Kohlhaas mit seinem als Prinzipienreiterei geschmähten Kampf für die Gerechtigkeit tatsächlich (und ohne sich dessen recht bewusst zu sein) gegen eine Gesellschaftsordnung auf, deren adelige Macht-Elite sich durch ihre Willkür längst selbst delegitimiert hat.

Aber ach, am Ende war es nur ein Spiel, und Marc-Philipp Kochendörfer fegt den Kinderzimmer-Traum, die vielen kleinen Plastik-Ritterfigürchen, die auf dem Boden herumstanden, mit dem großen Besen zu einem armseligen Haufen zusammen: was bleibt, ist der Kehricht der Geschichte. Begeisterter Jubel.ALEXANDER ALTMANN

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