Matthias Davids ist Experte für Musicals. © H. WAKOLBINGER
Ruhe vor dem Sturm: Am 25. Juli werden die Bayreuther Festspiele mit einer Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ eröffnet. © Daniel Karmann
Diesen Namen hatte keiner auf dem Radar: Matthias Davids, Leiter der Musical-Sparte am Landestheater Linz, inszeniert die neuen „Meistersinger von Nürnberg“ in Bayreuth. Mit der Premiere werden am 25. Juli die Festspiele eröffnet. Der 62-Jährige soll nach der Vorstellung von Festivalchefin Katharina Wagner einen Gegenentwurf zu politischen Deutungen des Stücks bieten.
Hatte Richard Wagner Humor?
Ich finde schon. Ich will ihn jedenfalls entdecken. Heute auf der Probe kam von den Sängern eine Bemerkung der Art: „Jetzt ergeben manche musikalische Stellen für mich viel mehr Sinn, in anderen Inszenierungen waren diese viel erdenschwerer.“ Auch in Wagners Libretto steckt Humor. Man sollte nicht gerade eine Boulevardkomödie erwarten oder eine komische Oper à la Rossini. Bei den „Meistersingern“ jedoch habe ich das Gefühl: Wenn man einer Situation mit Humor begegnet, bekommt das Bedeutungsvolle, Erhabene im Gegenzug sogar mehr Gewicht.
Es heißt gerade oft: „Der Musical-Mann macht jetzt Wagner.“ Fühlen Sie sich in eine Ecke gedrängt?
Leider gibt es im deutschsprachigen Raum noch diese Trennung zwischen E- und U-Kunst. Und die Fehleinschätzung, dass Musical zwangsläufig etwas Oberflächliches, Seichtes bedeute. Musical ist ein schwieriges Genre, weil es viele Dinge vereint – und weil man als Regisseur, rein technisch gesehen, Logistik beherrschen muss. Ich gehe an ein Musical nicht anders heran als an eine Oper: erst das Libretto lesen, dann die Musik verstehen. Eine weitere Aufgabe ist für mich: Wie bringe ich Opernsängerinnen und -sänger ans natürliche Spiel heran? Ich bin oft erstaunt darüber, mit welchen musikalischen Fertigkeiten Sängerinnen und Sänger aus der Ausbildung kommen, während ihr darstellerisches Können offenbar wenig Beachtung gefunden hat. Bekanntlich sitzt die Stimme ja nicht nur im Hals, sondern im ganzen Körper. Und den sollten sie auch szenisch kreativ nutzen. Zum Glück werden in Bayreuth in der Regel hervorragende Sängerdarsteller engagiert – das ist nicht überall so.
Über was können Sie eigentlich lachen?
Ganz unterschiedlich. Natürlich bin ich ein großer Loriot-Fan, er war mir oft Pate bei zwischenmenschlichen Situationen auf der Bühne. Dann mag ich den amerikanischen Humor, sein Tempo, das Gefühl für Situationskomik. Britischer Humor ist schwierig für Deutsche, ich finde aber Monty Pythons Respektlosigkeit und Brachialität super. Das, was man in den „Meistersingern“ findet, sind gewisse menschliche Unzulänglichkeiten, die Komik erzeugen. Ich will mich darüber aber nicht lustig machen, sondern mit Liebe auf diese Figuren schauen. Nehmen Sie nur die Meistersinger selbst mit den Gesangsregeln, die sie sich ausgedacht haben. Die sind so kompliziert, dass sie sie teils selbst nicht verstehen. Das kann man als starr und unkünstlerisch kritisieren. Aber wenn man sieht, wie viel Herzblut sie in ihr ausgefeiltes Regelwerk investieren! Das kann man doch nur lächelnd, aber mit Milde betrachten.
Die Regie beißt sich gern an der vermeintlich nationalistischen Schlussansprache von Hans Sachs fest, wo er die deutsche Kunst und das deutsche Reich bedroht sieht.
Barrie Kosky hat sich in der Vorgängerinszenierung zu Wagners Nationalismus und Antisemitismus verhalten, das muss ich nicht noch mal neu bearbeiten. Natürlich ist die Stelle eine harte Nuss. Mein Bedürfnis ist aber zu sagen: Leute, wir wissen alle um die Problematik dieser Ansprache im historischen Kontext. Aber wir müssen uns trotzdem nicht zwingen, das gesamte Werk im Licht dieser paar Sätze zu betrachten. Es gibt so viele wunderbare Gedanken und Figuren in den „Meistersingern“. Erlaubt sollte sein, es auch folgendermaßen zu sehen: Die Festwiese ist einfach ein Volksfest, da werden Kuchen gebacken und Würstchen gebraten, während Nürnberg den Superstar sucht.
Wie überrascht waren Sie, als die Anfrage aus Bayreuth kam?
Sehr. Irgendwann dachte ich mir aber: Warum eigentlich nicht? Ich habe Oper inszeniert und, ja, viel Musical, als junger Mann habe ich mich viel mit klassischer Musik beschäftigt. Hätte Katharina Wagner mir den „Parsifal“ angeboten, hätte ich wohl mit ihr diskutieren müssen, was sie eigentlich von mir erwartet, und ich hätte mir mehr Bedenkzeit erbeten. Aber das Umgehen mit realen Figuren in konkreten Situationen wie in den „Meistersingern“ macht mir einfach Spaß. Ich bin keiner, der Lust hat auf Szenen, bei denen man als Regisseur sagt: „Bei Seite 20 kniest du dich hin, und auf Seite 76 stehst du wieder auf und schaust erhaben.“
Chef einer Musicalsparte – damit sind Sie im deutschsprachigen Raum ein seltenes Exemplar.
Das Musical hat bei uns eher wenig Tradition. In Linz war die Idee, nicht nur die Klassiker wie „Evita“ oder „Jesus Christ Superstar“ zu spielen. Ich will Aufklärungsarbeit in diesem Genre leisten – inklusive Erst- und Uraufführungen. Das funktioniert in Linz gut. Wir haben ein interessiertes Publikum gewinnen können, das auch in unbekannte Stücke kommt, weil es weiß: In Linz gibt es spannendes Musical zu entdecken, und das stets auf höchstem Niveau. In anderen Theatern wird Musical oft produziert, um die Opernsparte mitzufinanzieren.
Inszeniert es sich in Bayreuth leichter, weil das Publikum zum großen Teil aus Experten besteht?
Ich inszeniere nicht nur für Fortgeschrittene. Ich will – ganz ohne Simplifizierung – Wagner auch für Anfänger inszenieren. Ich will den Unerfahrenen den übertriebenen Respekt vor dem Komponisten und der Länge und Komplexität seiner Werke nehmen. Natürlich könnte ich Gimmicks für Nerds hineinbringen. Wenn ich zum Beispiel ein szenisches Detail einbauen würde, das irgendwo im zweiten Stock der Villa Wahnfried zu finden ist, dann mögen die Wissenden grinsen. Aber das hat doch mit der Geschichte des Stücks nichts zu tun.