BAD HERSFELDER FESTSPIELE

Das Salzburg des Nordens

von Redaktion

Faszination in einer riesigen Kirchenruine

Erol Sander präsentierte sich mit seiner Lebensgefährtin Rebecca Oehlmann auf dem roten Teppich. © Foto: Eva Trolp-Göbel

Broadway-Power bringt das Musical „A Chorus Line“ als Wiederaufnahme nach dem Erfolg im Vorjahr auf die Festspielbühne. © Foto: BHF/S. Sennewald

Außergewöhnlich ist der Schiller-Klassiker „Die Räuber“ in Verbindung mit der live nachgespielten Musik der Toten Hosen auf der Bühne inszeniert. © Foto: BHF/Johannes Schembs

Einzigartig ist die Stiftsruine als Spielstätte der Bad Hersfelder Festspiele. Bei Regen kann die zusammengefaltete Plane (oben links) an Elektromotoren über eine Drahtseilkonstruktion ausgefahren werden, die der Star-Architekt Frei Otto, der Konstrukteur des Dachs über dem Münchner Olympiastadion, Ende der 60er-Jahre entwickelt hat. © Foto: BHF/Johannes Schembs

Bad Hersfeld – Theater und Musik unter freiem Himmel gibt es im Sommer an vielen Orten. Die bedeutendsten Festspiele im deutschsprachigen Raum nach Salzburg finden jedoch zurzeit im osthessischen Bad Hersfeld statt. Schauplatz ist die größte romanische Kirchenruine nördlich der Alpen mitten im Herzen der schmucken Kleinstadt an der Fulda. Wir spüren auf dieser Sonderseite der großen Faszination nach, der sich von Juni bis September seit bald 75 Jahren in jeder Saison gut 100 000 Besucherinnen und Besucher gerne hingeben.

In diesem Jahr ist Erol Sander neben Sandy Mölling, Brigitte Grothum und Anouschka Renzi das prominenteste Ensemblemitglied. Er spielt den Benedikt in „Sommernachtsträume“ frei nach Shakespeare – und steht damit in einer Reihe der berühmtesten Schauspielerinnen und Schauspieler der vergangenen Jahrzehnte: Hilde Krahl, Nicole Heesters, Will und Christian Quadflieg, Theo Lingen, Ernst Stankowski, Gunther Emmerlich, Helen Schneider, Wolfgang Reichmann, Volker Lechtenbrink, Judy Winter, Gottfried John, Mario Adorf, Anna Loos, Axel Prahl, Elisabeth Lanz – diese Liste ließe sich lange fortführen.

Kulisse zieht bis zu 1300 Festspielgäste in ihren Bann

Der eigentliche Star der Bad Hersfelder Festspiele ist aber die beeindruckend große Stiftsruine als magischer Spielort, deren Grundmauern nach einem verheerenden Brand der Klosterkirche 1761 im Siebenjährigen Krieg bis heute fast vollständig erhalten sind. Die riesige Bühne unter den mächtigen steinernen Bögen flößt selbst den ausgebufftesten Schauspielprofis Respekt ein. Und bis zu 1300 Festspielgäste, die bei Bedarf unter einem ausfahrbaren, riesigen Faltdach einen Wetterschutz finden, wollen erst einmal mit Spiel, Tanz und Gesang in den Bann gezogen sein.

Schon Konrad Duden, der als Direktor der ehemaligen Klosterschule in Hersfeld – damals hatte die Stadt noch nicht das Prädikat Bad – sein berühmtes Orthografisches Wörterbuch erstellte, war begeistert von der ehemals sakralen Spielstätte. Seine Idee schon 1896: Volksfestspiele veranstalten. Duden setzte sich seinerzeit jedoch noch nicht durch.

Es war dann 1951 die Gesellschaft der Freunde der Stiftsruine aus örtlicher Politik- und Wirtschaftsprominenz, die mit erbaulichen Stücken von Hofmannsthal wie dem „Jedermann“ und „Das Salzburger große Welttheater“, unterstützt auch vom ersten Bundespräsidenten Theodor Heuß, die große Erfolgsgeschichte der Festspiele in der Nachkriegszeit begründete.

Es kamen in künstlerischen Epochen politisches Theater, Musicals von internationalem Niveau, Konzerte und offene künstlerische Formate wie szenische Opern hinzu.

Heute veranstaltet die Stadt Bad Hersfeld mit einem saisonalen Etat von gut acht Millionen Euro die Festspiele und wird dabei vom Landkreis, dem Land, dem Bund und auch durch Sponsoren unterstützt. Wenn alles gut läuft, werden über 70 Prozent der Kosten über Tickets eingespielt. Und in diesem Jahr läuft es wieder gut, wobei noch für fast alle Vorstellungen Karten zu bekommen sind. Der scheidende Intendant Joern Hinkel, dem im Jubiläumsjahr 2026 die Wiener Kulturmanagerin Elke Hesse folgen wird, hat neben den Sommernachtsträumen die erfolgreichen Wiederaufnahmen des Musicals „A Chorus Line“ in prickelnder Broadway-Manier und des Stücks „Wie im Himmel“ als Kino-Adaption auf den Spielplan gesetzt.

Als Familienangebot ist „Ronja Räubertochter“ nach Astrid Lindgren in Form eines Singspiels ins Programm genommen worden. Ein Stück wie ein Orkan und neu auf dem Spielplan ist der Klassiker „Die Räuber“, der so ganz und gar nicht angestaubt daher kommt. Das Ensemble um Regisseur Gil Mehmert (u.a. „Das Wunder von Bern“, Hamburg) wird musikalisch live auf der Bühne begleitet und verwebt Songs der Kultband Die Toten Hosen mit der Sprache Schillers. Das Ergebnis ist atemberaubend, verblüffend, voller Energie und erstaunlich stimmig. Und das Publikum ist hingerissen. Schiller als Punk, als Normensprenger im Sturm und Drang seiner Zeit? Keine Sorge, die Geschichte um die unterschiedlichen Räuber-Brüder Karl und Franz Moor wird nicht verraten, sondern authentisch neu erzählt – und das ohne Kostümschocks auch ästhetisch ansprechend. Cool!

Die Bad Hersfelder Festspiele haben auch eine kleine Außenspielstätte für rund 200 Gäste zu bieten. Es ist der bezaubernde Fachwerkinnenhof im ehemaligen Wasserschloss Eichhof. Wo das Land Hessen vor den Toren der Stadt heute mit Stallungen und Traktoren in Sachen Landwirtschaft lehrt und forscht, wird die Komödie gepflegt. Bis zum 16. August gibt es dort mit den Inszenierungen „Kunst“ und „Der Gott des Gemetzels“ im Wechsel die beiden Stücke der französischen Star-Autorin Yasmina Reza zu sehen. MARKUS PFROMM

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