Kriminal-Tango

von Redaktion

„Herzog Blaubarts Burg“ und „La voix humaine“ bei den Tiroler Festspielen

Erotischer Höhepunkt: Blaubart (Florian Boesch) aus Bartóks Kurzoper tanzt mit der namenlosen Frau (Barbara Hannigan) aus dem Poulenc-Einakter. © Monika Rittershaus

Seine fünfte Frau könnte das sein. Nach drei namenlosen und Judith, die er gerade im Einakter von Béla Bartók verführt, manche sagen auch verhext hat. Diese hier ist wieder anonym, in einem anderen Operneinakter beheimatet, „La voix humaine“ von Francis Poulenc – und seine letzte. Ein Pistolenschuss, ein zusammensackender Kerl, Blackout, es ist eine lakonische, plötzliche Pointe, das Publikum muss sich erst zum Applaus aufraffen.

„Herzog Blaubarts Burg“ von Bartók mit Poulencs Opus zu koppeln, das haben schon andere getan. Für Erl ist das neu und Musik aus dem 20. Jahrhundert unterm Kranzhorn ohnehin kaum Alltagskost. Die Operngänger zieren sich. Intendant Jonas Kaufmann hat bei seinen Tiroler Festspielen alles versucht, fast täglich gibt es neue Werbe-Videos auf Social Media. Doch das Festspielhaus ist trotzdem nicht voll. Wer nicht da war, eine alte Redensart, die hier aber zutrifft, der hat was verpasst.

Blaubart, der Judith auf seine Burg holt, wo hinter sieben Türen Geheimnisse, Schrecknisse, vor allem Vergangenheiten lauern, dazu die Poulenc-Frau, die verzweifelt und vergeblich mit ihrem Geliebten telefoniert: Für solche Psychokisten ist Regisseur Claus Guth der Richtige. Keine Burg, dafür ein Zimmer, das sich immer mehr zusammensetzt (Bühne: Monika Korpa) – die rudimentäre Erler Bühnentechnik empfindet man kaum als Not. Ein Lagerfeuer wird zum offenen Kamin, Gemälde wie raunende Kommentare. Und mittendrin das Hochzeitspaar. Sie möchte mehr, als er ihr zugesteht. Falsche Erwartungen nähren Kommunikationsprobleme, wir kennen das aus „Lohengrin“ oder „Ariadne auf Naxos“.

Blaubart bevorzugt bei Guth das normierte Püppchen, allen zieht er ein rosa Kleid an, auch Judith. Die Szenerie gaukelt Realität und Konkretheit vor. Doch die Stärke dieses Abends ist: Guth, der seine Figuren in den Kostümen von Anna Sofie Tuma virtuos und intensiv führt, deutet an, lässt Offenes zu, ermöglicht Gedankenräume und wechselt Perspektiven. Ständig läuft unser Kopfkino, sucht Begründungen und Bedeutungen.

Blaubart ist hier kein Unhold, sondern auch ein verzweifelt Liebender mit einem (wirklich bösen?) Geheimnis. Florian Boesch unterspielt das fast, ist dadurch umso eindrücklicher, dazu passt sein grauer, viriler Baritongesang. Christel Loetzsch, anfangs mit belegtem Mezzo unterwegs, wächst in die Judith immer mehr hinein, auch sie umweht Unbestimmtes. Ein paar szenische Details (das Telefon) verweisen auf den Teil nach der Pause.

Der beginnt wie der erste mit dem Hochzeitspaar Blaubart/Judith, das hinter dem Vorhang verschwindet – und kippt dann in ein hochvirtuoses, hektisches, laszives, umwerfendes Solo der wie immer einzigartigen Barbara Hannigan. Eine Solistin, die Claus Guth eigentlich nur kanalisieren muss. Gerade als man fürchtet, die Akrobatik in Gesang und Spiel genüge sich selbst, weitet sich die Szene – „Die Frau“ begegnet Blaubart. Oder ist es nur eine Imagination?

Beide Einakter spielen enttäuschte Hoffnungsn, verfehlte Warnehmungen, Bedingungen von Liebe und Partnerschaft, überhaupt gegenseitige Akzeptanz auf ihre Weise durch. Bei Poulenc als hochtourige Burleske, bei Bartók als symbolistisches Raunen. Umso wohltuender, dass Guth sein Personal nicht zu offensichtlich auf die Freud-Couch holt. Behutsam legt er Kraftfelder frei, erhebt das Uneindeutige zum Prinzip und gewinnt daraus subtile bis hocherotische Situationen – alles gipfelt im Tango des Todes, den Bartóks Blaubart mit Poulencs „Frau“ tanzt.

Auch Dirigent Martin Rajna überreizt mit dem Festspielorchester die Musik nicht. Ein paar Farberuptionen bei Bartók dürfen sein, doch schiebt sich der warme Ensembleklang schnell wieder unter und zwischen die Vokalstimmen. Relativ wendig schlängelt sich die Truppe durch den Poulenc, als kluge musikalische Verbindung und „Ouvertüre“ zum zweiten Teil gibt es die Elegia aus Bartóks Konzert für Orchester. Ungetrübter Jubel. Solche Erler Produktionen sollten sich rumsprechen.MARKUS THIEL

Weitere Aufführung

am 18. Juli, tiroler-festspiele.at.

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