Mächtig und magisch

von Redaktion

Der zweite Abend bei Klassik am Odeonsplatz begeistert wie schon der erste

„Klassik am Odeonsplatz“ ist ein Ereignis mit vielen Bühnen: kulturpolitisches Aushängeschild und musikalisches Ereignis, Society-Treff und mediale Inszenierung. Seit 24 Jahren bildet die Feldherrnhalle mit historischem Pathos den Rahmen, diesmal wird sie von einem Baugerüst eingehüllt, was der Kulisse fast einen Hauch von Industriepoesie verleiht, vor allem in den Lichtspielen nach Einbruch der Dunkelheit.

Auf der programmatischen Ebene wird hier nichts riskiert, es geht um Repräsentation der hiesigen Hochkultur und ihrer maßgeblichen Player. Am Sonntagabend sind das die Münchner Philharmoniker unter ihrem designierten Chefdirigenten Lahav Shani.

Seit 24 Jahren bildet die Feldherrnhalle den Rahmen für dieses Konzert

Wie das Publikum den Abend erlebt, ist dagegen eine Frage des Standpunkts: In den vorderen Blöcken sitzt die Society mit direktem Blick auf die Bühne – der doch immer wieder zu den Leinwänden wandert, wo spektakuläre Kamerafahrten den gigantischen, 7000 Personen fassenden Open-Air-Konzertsaal sowie intime Close-ups der Protagonisten auf der Bühne zeigen: den konzentrierten Dirigenten, einzelne Orchestermitglieder und natürlich Lisa Batiashvili, die Solistin des ersten Stücks – Ludwig van Beethovens Violinkonzert.

Im schwarzen Seidendirndl erweist sie der bayerischen Kulisse die Ehre, ihr Spiel ist internationale Weltklasse – besonders in Hörweite der tontechnischen Herausforderungen unter freiem Himmel. In den vorderen Reihen wirkt der Klang stellenweise erstaunlich direkt; ganz kaschieren lässt sich die Verstärkung freilich nicht, in den leisen Passagen bekommt die Balance zwischen Transparenz und Tragfähigkeit doch Risse.

Die 46-jährige Batiashvili begegnet dem mit gestalterischer Entschiedenheit, vor allem in der großen Kadenz: expressiv, risikofreudig, fast avantgardistisch spielt sie mit den Möglichkeiten der Verstärkung und nutzt die klangliche Projektionsfläche, um Unerwartetes zu schaffen. Als sich plötzlich eine Sirene in die Geigenklänge mischt, wird das klassische Konzert unter freiem Himmel um eine urbane Soundscape erweitert – ungewollt, aber magisch. Ein solches Konzert-Erleben verstärkt sich in den hinteren Blöcken, die sich in die Ludwigstraße in Richtung Siegestor ziehen.

Wenn auch der akustische Sweetspot an diesem Abend auf den Stuhlreihen zwischen den Leinwänden und Lautsprecherboxen liegt, verlassen doch viele Besucherinnen und Besucher zu Sergej Rachmaninows „Symphonischen Tänzen“ den offiziellen Bereich und streifen an den Rändern entlang, suchen andere Perspektiven: auf Stühlen geschlossener Cafés, im Gespräch miteinander. Immer eingehüllt von der mächtigen, technisch miterzeugten Klangwolke, die sich auch über die Mauer in den Hofgarten senkt – wo eine dritte Publikumsgruppe auf Picknickdecken liegt, mit Wein, Brotzeit und Blick in den Abendhimmel. ANNA SCHÜRMER

Artikel 3 von 9