Umherirren in New York

von Redaktion

Im Roman „Auflösungen“ sinniert Marlene Streeruwitz über große Umbrüche

New York im Frühjahr 2024. Nina Wagner, Lyrikerin mit Wohnsitz in Wien, wurde als Gastdozentin an der Uni angenommen – Department „German Studies“. Nina Wagner kennt New York gut. Sie war schon öfter hier, hat Freundschaften geschlossen. Doch nun wirft Donald Trumps Wiederwahl ihren Schatten voraus. Überall Armut, homeless People, Dreck auf den Straßen – und viel Polizei. Ihre Freunde, viele davon homosexuell, ziehen sich in ihre Wohnungen zurück. Experimentierfreudiges Theater gehört der Vergangenheit an. Und Ninas amerikanische Studenten, hauptsächlich junge Männer? – „Sie waren so selbstverständlich feministisch und antirassistisch. Aber. Sie vermieden jedes Wort über die Kriege. Sie schwiegen dazu. Sie waren pragmatisch. Nichts sagen. Ukraine und Gaza. Es konnte gedacht werden. Es durfte nichts zum Vorschein kommen.“

„Auflösungen. New York“. Der Romantitel umreißt in zwei Worten eine Entwicklung: Das hippe, lebensfrohe New York versinkt im Neoliberalismus. Man kann diese gravierende Veränderung nicht an einem einzelnen Phänomen festmachen: Es ist nicht Trump allein oder die Pandemie oder der Ukraine-Krieg, es ist ein Zusammenspiel vieler negativer Kräfte, die die Auflösung vorantreiben. Mittendrin: Nina, Mutter einer Tochter, Mittfünfzigerin. Ihre Tochter ist zum Vater übergelaufen. Der hatte sich zwar in ihrer Kindheit nicht um sie gekümmert, doch da er nun zum Alkoholiker geworden ist, betreut ihn die Tochter.

Nina läuft über ihre eigene Situation sinnierend durch New York. Dieses Irren im Geiste und in der Stadt fängt Marlene Streeruwitz meisterlich in staccatoartigen Sätzen ein. Ihr Umherschweifen ist eben auch den gesellschaftlichen Auflösungen geschuldet. Bestimmt in dieser Gemengelage ist nur eines: der Wunsch nach einem starken Mann, dessen Faust sicher in die Zukunft weist – mag er Trump, Putin oder sonst wie heißen. Mit „Auflösungen“ ist Streeruwitz ein Roman gelungen, der politische Sachlagen mit den persönlichen Gegebenheiten ihrer Heldin geschickt miteinander verwebt. Dort, wo sich feste Orientierungspunkte in der Gesellschaft auflösen, geschieht dies auch im Privaten. Was bleibt, ist schmerzhaftes Umherirren.A. PUFF-TROJAN

Marlene Streeruwitz:

„Auflösungen“. S. Fischer, Berlin; 416 Seiten, 28 Euro.

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