Im Salon des Meisters

von Redaktion

Mekka des Kunstlieds: Die Schubertiade feiert 50. Geburtstag

Mister Schubertiade: Gerd Nachbauer leitet das weltweit einzigartige Festival seit der Gründung im Jahr 1975. © B. Hofmeister

Tiefenbohrungen bei Robert Schumann: Bariton Christian Gerhaher und Pianist Gerold Huber widmen sich unter anderem der „Dichterliebe“. © Schubertiade

Zwei, drei Glaserl Wein, vielleicht auch eine Pfeife, gesellig sollte es sein. Sogar „Unterhaltungsspiele“ sind überliefert aus dem Salon des Komponisten, ausschließlich um Klaviermusik und Lieder ging es eigentlich. Man kannte sich, übrigens damals wie heute. Denn ob historische Wiener Schubertiade einst oder Festival mit dem gleichen Namen jetzt: So viel hat sich nicht geändert. Anno 2025 sind wieder die Fans eingetroffen in Hohenems, 20 Kilometer entfernt vom Bodensee. Geraucht und getrunken wird jetzt außerhalb des Saales, das Geschehen auf der Vorarlberger Bühne bleibt jedoch an diesem Abend – wie bei Schuberts Einladungen – Kumpelsache.

Julian Prégardien, Ilker Arcayürek, Konstantin Krimmel und Tobias Berndt stehen da, Daniel Heide sitzt am Klavier. Gesungen werden Quartette von Schubert, beginnend mit einer Huldigung Salieris („Unser alter Großpapa, bleibe noch recht lange da“), letzte Zugabe ist Silchers „In einem kühlen Grunde“. Sauschweres Zeug, man hört es gelegentlich an der nicht ganz geputzten Intonation. Jeder der Lied-Kerle ist mit zwei Solo-Nummern dabei. Alle, ob auf der Bühne oder im Saal, haben Spaß. Wo gibt es sonst so was? Nur bei der Schubertiade. Und dann erst der Raum: Der Markus-Sittikus-Saal, 1913 als Turn- und Mehrzweckhalle eröffnet, dann von der Schubertiade renoviert, ist legendär. Nur 300 Plätze. Der Klang hat trotzdem Luft und Trennschärfe, trifft direkt in Hirn, Herz und Bauch. Eine bessere Akustik für Kammerkonzerte ist nicht vorstellbar. Draußen lässt sich’s in Laubengängen wandeln, Brunnen sprudeln, über Hohenems ragen die Felswände des Bregenzerwaldes auf.

Der 50. Geburtstag wird heuer gefeiert. Die Schubertiade-Gesellschaft gründete sich 1975, lockte allerdings erst ein Jahr später mit Konzerten. Neben Hohenems wird der Standort Schwarzenberg bespielt. Auch heuer gibt sich das Who’s who des Lieds in drei Zyklen die Ehre. Beim mittleren ist Christian Gerhaher mal wieder dabei, ein Schumann-Programm. Mit seinem symbiotischen Piano-Partner Gerold Huber taucht er tief ein in den Heine-Liederkreis. Alles, auch „Die beiden Grenadiere“, ist wie immer aus überlegener Draufsicht gestaltet, nie äußerliche Identifikation. Immer wieder überraschen die Nuancierungen, die Wort und Klang so unnachahmlich vermählen. Die „Dichterliebe“ haben beide schon zweimal auf CD gebannt, eine konkurrenzlose Verfeinerung hört man in Hohenems.

Das Lied also in der Krise? Gerd Nachbauer gibt sich verhalten optimistisch. Zusammen mit Hermann Prey (1929–1998) hat er die Schubertiade gegründet. Mit der Baritonlegende gab es Zwist, Nachbauer verantwortet das Festival seit Langem allein. „Dass immer weniger Liederabende veranstaltet werden, hat nichts mit abnehmender Bildung zu tun oder damit, dass die Kinder in der Schule nicht mehr mit Lyrik befasst werden“, sagt der 76-Jährige. „Es liegt an den Sängern: Wenn sie das gern machen wollen, dann setzen sie sich schon durch.“ Nachbauer, mit enzyklopädischem Wissen um sein eigenes Festival gesegnet, erzählt von Künstlern, die „unter die Räder des Opernbetriebs“ geraten seien. Superstars wie Prey, der auch im Fernsehen präsent war, und Fischer-Dieskau gebe es nicht mehr. Umso mehr ist Nachbauer froh über Jung-Solisten wie Konstantin Krimmel. Münchens aktueller Don Giovanni gilt mit 32 bereits als Lichtgestalt des Lieds, 2026 spielt er bei der Schubertiade eine Hauptrolle.

Und trotzdem: Die Karten gehen seit der Pandemie nicht mehr locker weg. Nachbauer hat die Termine reduziert. Interessenten würden sich außerdem immer später entscheiden und dann für weniger Termine. Umso wichtiger sei es, Zugkräftiges zu bieten. Das betreffe nicht nur das Gesangspersonal, sondern auch das Programm. Ähnliches bei Veranstaltern wie dem Münchner Andreas Schessl: Über „Winterreise“ oder „Schöne Müllerin“ reicht das Lied-Repertoire kaum mehr hinaus. „Neulich hat mir eine Kundin geschrieben und uns gelobt“, berichtet Nachbauer. „Keine Sandwichmethoden“ wende die Schubertiade an, meinte die Hörerin. Was bedeutet: Dem Publikum werde zwischen den Hits keine Moderne oder Abseitiges untergejubelt.

Was auffällt bei den Konzerten: Das Publikum scheint einmal vor Werkbeginn kollektiv einzuatmen, danach regt sich kein Mucks, kein Bonbonpapier, das Trampeln und Jubeln am Ende ist umso stärker. Auch beim Finale und Höhepunkt dieses Zyklus: Julia Kleiter und Christian Gerhaher nähern sich Schumanns „Myrthen“-Liederkreis und den Gesängen aus „Wilhelm Meister“ von verschiedenen Seiten. Sie mit kontrollierter Emphase, delikatem Humor und Noblesse, er wie stets mit Detail- und Nuancenwut samt offensiv ausgestellter Disparatheit. Beide stoßen sie ins Herz der Werke vor, ergänzen einander, geleitet, getragen und kommentiert vom wunderbaren Gerold Huber. Ein Abend, der nach zwei Stunden viel zu früh endet – und immerhin am 20. Juli bei den Münchner Opernfestspielen wiederholt wird.MARKUS THIEL

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