Poesie und Pieselpause: Patti Smith in München. © Tollwood
Bei Patti Smith liegen das große Pathos und das Profane ganz nahe beieinander. Genauer gesagt: Poesie und Pieseln. Nach einer Stunde in der saunadampfigen Tollwood-Arena setzt die 78-jährige Powerfrau ein Lächeln auf – und sie kann zuckersüß lächeln. Dann verkündet sie dem ausverkauften Haus: „Ich muss mal! Äh, ich wollte sagen: Wir lieben Euch!“
Zuvor hat sie schon ihren Sohn Jackson vorgestellt, der mit seiner Schiebermütze und seinen starken, tätowierten Unterarmen nicht nur aussieht wie ein Seebär, sondern auch noch ausgezeichnet Gitarre spielt. Kaum hat sie das von ihrer Notdurft erwähnt, erzählt sie nun: „Den Text zum nächsten Song schrieb ich 1978 für Jacksons Vater, Fred ,Sonic‘ Smith.“ Und sie schmeißt sich inbrünstig in ihren größten Hit, das mit Bruce Springsteen verfasste Liebeslied „Because the Night“. Dann führt der Baum von einem Mann seine winkende Mama unter Riesenjubel der Menge von der Bühne – und als sie vom Klo zurückkommt, haut sie den Leuten den euphorischen Protestsong „People have the Power“ um die Ohren.
Smith beginnt das Konzert wie ein ergrautes Hip-Hop-Kid aus Brooklyn – die Strickmütze über die fransigen Haare tief ins schmale Gesicht gezogen, mit löchrigem weißen T-Shirt, speckiger Jeans und schiefem Grinsen, sie singt „Redondo Beach“ von ihrem Debütalbum, als wäre sie die Mutter aller Hipster. Gleichzeitig kommt sie aber rüber wie das zauberhafteste, gütigste Wesen, das sich denken lässt. Die Punk-Patin hält flammende Plädoyers für die Freiheit und gegen Krieg, keift „Bullet with Butterfly Wings“ von den Smashing Pumpkins, hüpft hingebungsvoll auf und ab, mit grimmigem Gesicht. Und dann haucht sie verlegen „Hi!“ ins Mikro und sieht aus wie ein schüchternes Mädchen. Begleitet wird sie von einer sympathisch und versiert aufspielenden Band um Keyboarder und Bassist Tony Shanahan.
Endgültig gewonnen hat sie das Publikum, als sie erzählt, sie sei heute in „Saint George“ gewesen. Sie meint die Georgskirche in Alt-Bogenhausen. Sie habe das Grab von Rainer Werner Fassbinder besucht, ein japanischer Ahorn habe Schatten gespendet – beautiful. Und überhaupt sei München in ihrer ganzen Karriere immer gut zu ihr gewesen. Am Ende des recht kurzen, aber fulminanten Auftritts kann sie sich gar nicht trennen von der berauschten Menge. „Vergesst nicht: Gebraucht Eure Stimme!“, ruft sie winkend. Und verschenkt verschwenderisch ihr zuckersüßes Lächeln.JOHANNES LÖHR