„Verehrung für das deutsche Lied“: Der kanadische Bassbariton Gerald Finley gastierte in München. © Machreich Artists
„Was repräsentiert mich als Liedsänger?“ So die programmatische Selbstbefragung Gerald Finleys bei seinem Festspiel-Liederabend im Prinzregententheater, die der kanadische Sänger in zwei Teilen beantwortete: vor der Pause seine „Verehrung für das deutsche Lied“, danach seine „starke Affinität zur Musik Skandinaviens und überhaupt zur nordischen Gefühlswelt“.
So introspektiv die Auswahl scheint, so sehr sie Finleys kraftvoll-geschmeidigen Bassbarriton in all seinen Nuancen ausleuchtet – so wenig gerät dieser Liederabend zur solistischen Selbstdarstellung. Denn mit Isata Kanneh-Mason sitzt ihm eine Partnerin am Klavier zur Seite, die weit mehr ist als nur Begleiterin, vielmehr eine musikalische Kollaborateurin von großer Präsenz, die das gemeinsame Musizieren auf ein anderes Niveau hebt: Mit beeindruckender technischer Beweglichkeit und innerer Spannung, zurückhaltend und doch tonangebend, zieht sie das Ohr auf sich, ohne den Fokus zu verschieben.
Schon in den einleitenden Liedern Ludwig van Beethovens zeigt sich die Leuchtkraft dieser vielfältigen musikalischen Partnerschaft: Während Finley die inneren Monologe eines Verliebten mit feinem Gespür für sprachliche Rhythmik und vokale Schattierung auslotet, formt Kanneh-Mason die emotionale Topografie am Klavier nonverbal aus: federnd, atmend, nuanciert. In Schuberts Goethe-Vertonungen gewinnt die Verbindung noch an Intensität: „Meeres Stille“ wird verlangsamt zur schwebenden Klangskulptur, „Prometheus“ lodert zwischen Trotz und Verletzlichkeit, „Der Erlkönig“ erreicht im Satz „Dann brauch ich Gewalt“ einen fast schockartigen Höhepunkt.
Nach der Pause öffnet sich der Blick gen Norden: Edvard Griegs kristallklar leuchtenden Liedern verleiht der Bassbariton eine herbe, silbrige Wärme; stimmlich weit ausschreitend macht er Ralph Vaughan Williams’ „Songs of Travel“ zu einer beherzten Reise ins Innere. Dazwischen Mark Anthony Turnages eigens für Gerald Finley komponierte „Three Songs“ – ironische Lieder aus tierischer Perspektive, die doch gerade darin zutiefst allzu menschlich sind: absurd und zärtlich, von Brüchen durchzogen, voll Schmerz und Witz.ANNA SCHÜRMER