Aus alt mach neu

von Redaktion

Die Pinakothek der Moderne zeigt mit „On View“ Fotokunst

Germaine Krull: Selbstporträt mit Icarette (1925). © PdM

Gegen den alten Putzlumpen kann er nicht anstinken, der prächtige Lesesaal der Französischen Nationalbibliothek. Diese erschütternde Erfahrung muss man gleich im ersten Saal der Ausstellung „On View. Begegnungen mit dem Fotografischen“ in der Pinakothek der Moderne machen. Das schamlose Pathos des Banalen, das Claus Goedicke in seinem Putzlumpenfoto zelebriert, stellt selbst den feierlichen Barock der berühmten Bibliotheksfotografin Candida Höfer in den Schatten. Aber wie sagte einst schon der große Dichter Robert Gernhardt: „Dich will ich loben: Häßliches,/ du hast so was Verläßliches.“

Apropos Dichter: Man weiß fast nicht, was man hier mehr preisen soll, die Fülle beeindruckender Exponate (rund 250 an der Zahl) oder das literarische Talent der Kuratorinnen. Simone Förster und Franziska Kunze haben nämlich für die einzelnen Kapitel der Schau teilweise Titel ersonnen, deren funkelnde Poesie keinen Kenner kalt lassen kann. „Fragile Weite“ heißt beispielsweise der Abschnitt, wo Landschaftsfotografie im weiteren Sinne präsentiert wird, und ein anderer Saal widmet sich dem Thema „Der widerständige Körper“.

Die subtile Sensation solcher lyrischen Einordnungen tröstet einen leicht darüber hinweg, dass in der Ausstellung wenig Neues zu sehen ist. Denn in Zeiten knapper Kassen (zumindest für Kultur) sind öffentliche Museen immer öfter gezwungen, Ausstellungen einfach aus ihren eigenen Sammlungsbeständen zu basteln. Also wimmelt es in der Schau nur so von oft gesehenen Ikonen der Fotografiegeschichte aus den letzten 100 Jahren, speziell aus der Epoche der Neuen Sachlichkeit in den 1920ern.

Da finden sich August Sanders „Standes“-Porträts von Bauern, Künstlern, Korpsstudenten, Aenne Biermanns Stillleben schattenwerfender Trinkgläser, die getrockneten Mohnkapseln des Pflanzenfotografen Karl Blossfeldt oder triste Ruhrpottlandschaften von Albert Renger-Patzsch.

Nach neuen thematischen Kriterien arrangiert, sollen altbekannte Werke uns überraschen – ein wenig so, wie es früher angeblich in armen Familien zu Weihnachten war: Die Kinder bekamen jedes Jahr dasselbe Spielzeug mit neuer Bemalung „geschenkt“. Gleichwohl finden sich in den ambitiösen Neukombinationen des Vertrauten herrliche Glückstreffer: spannungsvolle Korrespondenzen, wo der Funke tatsächlich überspringt. Diesmal ist das der Fall, wenn Andreas Gurskys schlichtes, mit seinen horizontalen Farbstreifen fast abstraktes Riesenformat „Rhein II“ mit Simone Niewegs miniaturhafter Schrebergartenansicht „Kohlrabi, Bielefeld“ zusammentrifft, einem in Erdtönen schwelgenden, von Weltschmerz durchpulsten Hymnus aufs Abgelegene, dessen Apotheose randständiger Un-Orte zwischen Caspar David Friedrich und Lost-PlaceÄsthetik changiert.ALEXANDER ALTMANN

Bis 12. Oktober,

täglich außer Mo. 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr.

Artikel 8 von 11