PREMIERE

Fiebriges an der Seine

von Redaktion

Das Gärtnerplatz-Ballett präsentiert den Doppel-Abend „Strawinsky in Paris“

Leichtlebig und schwungvoll: Szene aus „An American in Paris“ mit dem Gärtnerplatz-Ensemble in der Choreografie von Jeroen Verbruggen. © Marie-Laure Briane

Begeisterungssturm im Münchner Gärtnerplatztheater bei der Premiere von „Strawinsky in Paris“. Paris! Die Stadt der Liebe – aber auch des Tanzes. Louis XIV (1638-1715) gestaltete schon als Teenager die „goldene Sonne“ im „Ballet royal de la nuit“. Gründete später die Nationale Akademie für Musik und Tanz. Kleiner Sprung in der Geschichte: 1913 die Uraufführung von Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ in Nijinskys Choreografie für Diaghilews Ballets Russes. Zuschauerrevolte im Théâtre des Champs Elysées – bald danach Weltruhm. 1928 George Gershwins „An American in Paris“, inspiriert von einem Paris-Aufenthalt. Und 1951 weltweit berühmt geworden durch den oscarprämierten Film-Klassiker von Regisseur Vincente Minnelli mit Gene Kelly und Leslie Caron.

Historisch gewappnet stürzen wir uns ins Doppel-Programm am Gärtnerplatz: Marco Goeckes neuer Blick auf Strawinskys „Frühlingsopfer“ und Jeroen Verbruggens eigene Deutung der Gershwin-Komposition. Statt „Ein Amerikaner in Paris“ erleben wir sein „Farewell in Paris“. Der Belgier, mit reicher Erfahrung als Tänzer, auch in diversen Goecke-Stücken, ist seit 2014 freiberuflich als Choreograf unterwegs. Hier erleben wir eine Gruppe junger Menschen, die feiernd Abschied nehmen von Paris. Und zwar just am berühmten Brunnen der Meere an der Place de la Concorde.

Sehr schön das Bühnenbild mit abstrahierendem Neonlicht-Springbrunnen. Volle Atmosphäre auch durch Gershwins leichtlebig schwungvolle Komposition, mit hie und da realen Stadtgeräuschen. Und wie man das Gärtnerplatz-Ensemble kennt, werfen sich alle mit zirzensischem Können in Verbruggens Choreografie: kopfüber, kopfunter, in fliegendem Spagat, elastischen Boden- und Pas-de-deux-Figuren. Bewegungs-Material hat Verbruggen – es fehlt aber noch an Dosierung, an choreografischer Gliederung. Gedient hat sein „Paris-Abschied“ als Entrée, quasi als Warm-up für den Hauptteil des Abends. Also Goeckes „Sacre“. Allerdings ohne Opfertod wie im Original. Was wir in einem ziemlich deprimierenden schwarzen Bühnenbild erleben, kann sicher mehrfach gedeutet werden. Wir haben in Goeckes bekannter „Körperzerlegung“ den Kampf um die eigene Kraft gelesen, den fordernden Alltag, das Sichbehaupten gegen eine Schwäche. Aber natürlich haben wir in seinem auf Bewegungszerbrechung angelegten Vokabular auch neue Nuancen entdeckt: einmal die gesteigert rasende Schnelligkeit, die fiebrig zitternden Finger an unruhigen Armen, die gebeugten Oberkörper, die ungewöhnlich gespreizten Beine.

Die aufgeregten Gesten-Diskussionen mit einem Partner, die choregrafischen Formationen im Raum, wie man sie von Goecke kennt: von Solo, bis Zweier-Tanz und militärischer Reihenaufstellung oder großer Gruppe. Man hat bei ihm Ähnliches schon gesehen. Aber das Fiebrige, fast Krankhafte, das ist hier dominant. Wir kennen seinen Stil – aber haben ihn nie zu Ende gesehen. MALVE GRADINGER

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