Showtime für Samiel

von Redaktion

Die Bregenzer Festspiele nehmen Webers „Freischütz“ wieder auf

Herrscher über die Seebühne und teuflischer Spielmacher: Samiel ist Mittelpunkt dieser Produktion – was Moritz von Treuenfels mehr als genießt. © Anja Koehler

Wir kennen diese Typen. Können schon in der Schule nicht stillsitzen, brauchen ständig Aufmerksamkeit, haben Oberwasser, besonders aber für alles und alle einen Kommentar parat. „Einfach mal die Klappe halten“, die Ermahnung funktioniert schon längst nicht mehr. Dieser Typ, mutmaßlich Einzelkind, muss eine solche Entwicklung hinter sich haben. Jetzt trägt er Rot, herrscht über die Hölle und über ein winterliches, überflutetes Dorf in der Bregenzer Bucht. Auch im zweiten Festspieljahr brauchen „Freischütz“-Fans starke Nerven, wird doch auf der Seebühne der Deutschen liebste Romantik-Oper gezaust.

Bei Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl heißt es Showtime für Samiel. Der Teufel reimt hier gern und viel im Goethe-Stil, mischt sich in die Arien ein, singt sogar mal mit. Und inszeniert das – bei Carl Maria von Weber ohnehin sehr plötzliche Happy End – als Kitsch-Finale mit Lichtdom, Fontänen und tanzenden Grazien à la Fünfzigerjahre-Revue. Moritz von Treuenfels, Resi-Ensemblemitglied, spielt das hochvirtuos, mit enormem Körper- und Stimmeinsatz, sonnt und suhlt sich in Stölzls Konzept. Es ist nicht so, dass dieser Regisseur den „Freischütz“ nicht mag. Er liebt ihn nur derart arg, dass er ihn umarmend fast erdrückt. Die Sprechtexte nehmen überhand, man verfolgt ein Schauspiel mit Musikbeilage, immerhin gibt’s in diesem Jahr fürs internationale Publikum englische Seitentitel. Ännchen und Agathe sind kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg schon Feministinnen und lesbisch veranlagt. Max ist nicht Jäger, sondern Schreiber, Fürst Ottokar auf Kufenkutsche ein Wiedergänger Ludwigs II. Als die Handlung wieder einmal einfriert, verkündet Samiel „Der Film geht weiter“ – ein verräterischer Satz. Statt Oper ist der „Freischütz“ bei Stölzl gigantisches 3D-Kino. Seinem Wimmelbild täten Nahaufnahmen gut – manch knorriger Baum verstellt fürs Publikum die Sichtachse.

Das offene Bühnenbild ohne große Reflexionsfläche fordert seinen Tribut, die Bregenzer Seebühnen-Akustik hat man schon besser erlebt. Dafür dreht die Tontechnik in der Wolfsschlucht die Regler auf Anschlag: Wenn die Toten auftauchen, der rote Nebel wabert und sich das Ungeheuer von Loch Bodensee erhebt, gibt es die passende Dröhnung.

Musikalisch hat dieser „Freischütz“ im Vergleich zur letztjährigen Premiere einen Sprung nach vorn gemacht. Dirigent Patrik Ringborg und die Wiener Symphoniker pflegen ein elastisches Klangbild, aus dem sich ganz natürlich Details herausschälen. Alles klingt wie frisch ausgehört. Erstaunlich sogar, wie Ringborg angesichts der akustischen Situation (bekanntlich wird das Orchesterspiel per Tonanlage aus dem Festspielhaus nach draußen übertragen) an Dynamik und Tempi schraubt. Attilio Glaser ist ein jungheldischer Max mit leicht ansprechender Stimme, Irina Simmes eine ähnlich veranlagte, silbersopranige Agathe. Oliver Zwarg ist als Kaspar samttönig und mit intelligent dosierter Dramatik unterwegs, vor allem ist er ein hervorragender Schauspieler. Wie immer sind in Bregenz die Rollen bis zu dreifach besetzt.

Der Stücktitel bleibt zugkräftig. Doch dass es sich um ein groteskes Grusical auf eine Opernvorlage handelt, hat sich herumgesprochen: Nicht alle Vorstellungen sind ausverkauft. Stölzl wendet sich mit seiner Version eher an Erstseher von heute, die entsprechenden visuellen Input inklusive Gags brauchen. Wer mag, kann gegen diese Produktion viel einwenden – und muss doch zugestehen: Die Liste der langweiligen, betulichen, im Volkstum versackenden oder verqueren „Freischütze“ ist lang. Dann lieber Bregenz.

Vorstellungen

bis 17. August, www.bregenzerfestspiele.com.

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