OPERNFESTSPIELE

Nun mal langsam

von Redaktion

Faurés „Pénélope“ im Prinzregententheater

Zwei, die sich nicht finden können: Pénélope (Victoria Karkacheva) und Ulysse (Brandon Jovanovich) in der Inszenierung von Andrea Breth. © Bernd Uhlig

Eine Frau auf einer Liege, drum herum Männer, über sie gebeugt, sich dem Körper nähernd. Doch kein Betasten und Begrapschen, nur diese Nähe. Es braucht keine Berührung, keine ausgestellte Lüsternheit, keine schwitzende Geilheit, um alles zu sagen in diesen Minuten. Es sind die Freier Pénélopes, die hier gefährliche Witterung aufnehmen – dabei singt doch die Titelheldin gerade ein Zimmer weiter. Ob ihnen das bewusst ist? Egal welche Frau, Hauptsache Befriedigung? Aber vielleicht muss man das alles nicht erklären an einem Abend, der quer zu vielem steht, vor allem zur gewohnten szenischen Logik. Und der doch, auf eine merkwürdige, eigentümliche Weise fesselt.

Andrea Breths Staatsopern-Debüt

Für die Bayerische Staatsoper ist dies die letzte Premiere der Saison, zugleich die zweite bei den Opernfestspielen, und es ist die ungewöhnlichste. Für Regie-Legende Andrea Breth ist es sogar (Warum erst jetzt?) das erste Münchner Mal. So wie für „Pénélope“, der kaum gespielten Oper von Gabriel Fauré, von dem man höchstens seine Lieder kennt, vor allem aber ein zartbitteres Requiem. Sein 1913 uraufgeführter Dreiakter ist von anderem Kaliber. Die Musik: ein an Wagner gehärteter Impressionismus. Oszillierend, offensiv, soghaft und trickreich mit Farben spielend, immer fein abgeschmeckt, von eruptiven Momenten durchzogen, der wenige Jahre zuvor entstandenen „Salome“ von Antoine Mariotte (2014 von der Theaterakademie gespielt!) näher als dem gleichnamigen Hit von Richard Strauss.

Man muss auf diese Musik hören, weil sie so viel sagt und raunt, Andrea Breth hat es im Prinzregententheater getan. Fast alle Bewegung ist aus diesen zweieinviertel Stunden gewichen, es ist eine Apotheose der Langsamkeit. Eine im Warten erstarrte und gefesselte Gesellschaft. Zimmerkästen bewegen sich von rechts nach links, eine Meisterleistung der Bühnentechnik. Zweimal ist die Szenerie von Raimund Orfeo Voigt offen, antike Torsi stehen herum. Nachts im Museum oder eine im Wortsinn Kopfgeburt, man weiß es nicht. 20 Jahre wartet Pénélope bekanntlich auf ihren irrfahrenden Mann Ulysse, wird derweil von Freiern bedrängt. Als der Gatte kommt, erkennt sie ihn nicht. Und bevor Wiedersehen gefeiert wird, lässt er die Nebenbuhler schlachten.

Das Warten, die (scheinbare) Ziel- und Ausweglosigkeit wird für Andrea Breth zum Programm. Das ist, auch in der hellen, sommerlichen Kleidung (Kostüme: Ursula Renzenbrink), eher Tschechow statt Antike. Vor allem aber hochmusikalisch: Wie die Inszenierung ihre kleinen großen Zeichen der Partitur ablauscht, wie das Personal auf scheinbar geheime Kommandos der Klänge auftaucht und agiert, wie eine sich öffnende Tür fast zur Sensation wird und die Beinahe-Berührung der beiden Protagonisten zum fallenden Vorhang schmerzliche Wirkung entfaltet, das ist großes Regie-Handwerk. Symbolistisch, vieles als Ahnung offenlassend, suggestiv, anti-psychologisierend, der Naturalismus des Settings führt in die Irre. Als Ulysse zu töten beginnt, fließt kein Blut. Und seinen Bogen, den kein anderer spannen kann, klemmt sich hier eine stumme Akrobatin (Daniele Maier) kopfüber zwischen die Zehen, es ist ein atemberaubender Moment.

Man bleibt dran an dieser Choreografie zwischen Rätsel und Ritual, auch wenn sich Andrea Breth zunehmend in die eigene Subtilität verliebt – manches kreist dann um sich selbst. Vor allem aber öffnet die Regisseurin der Musik viele Räume, die Sängerinnen und Sänger dürften es ihr danken. Eine lange Besetzungsliste, alle sind sie festspielwürdig. An der Spitze Victoria Karkacheva als Pénélope: Ausdrucksstark ist ihr Mezzo, mit großem Tonumfang, ideal zentriert, nie tritt Dramatik über die Ufer. Eine Solistin, die in der Introspektion so viel hörbar machen kann. Ähnlich Brandon Jovanovich (Ulysse), stimmlich ein passend herbstlicher Held ohne äußerliche Vokalgesten. Aus dem Quintett der Freier ragt Leigh Melrose mit viriler Härte hervor.

Bei Dirigentin Susanna Mälkki und dem Bayerischen Staatsorchester gibt es keinen Weichzeichner. So glut- und kraftvoll musiziert wird, so sehr ist die Dramatik doch kontrolliert – und wie immer bei diesem Ensemble in Samt gepackt. Auch im Graben also eine kluge, reflektierte Annäherung an ein fast vergessenes Stück. Und, nach manchem Regie-Jammer in den vergangenen Monaten, ein mehr als versöhnlicher Saisonausklang.MARKUS THIEL

Weitere Vorstellungen

am 21., 23., 26. und 29. Juli; Telefon 089/ 2185-1920.

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