Tanz mir das Lied vom Tod

von Redaktion

Salzburger Festspiele: Wiederaufnahme von Robert Carsens „Jedermann“

Teuflisch gut: Christoph Luser. © Monika Rittershaus

Ein stimmiges Paar: Jedermann (Philipp Hochmair) und seine Buhlschaft (Deleila Piasko). © Monika Rittershaus

Na, da scheinen ja doch ein paar fromme Menschen am Domberg gesessen zu haben. Kurz vor 21 Uhr am Samstagabend: Regisseur Robert Carsen stellt sich vor das Publikum, banger Blick gen Himmel. Die Chancen, dass heute noch etwas herunterkommt und seine „Jedermann“-Inszenierung ins Festspielhaus verlegt werden muss, liegen bei 30 zu 70. Aber der Kanadier bleibt optimistisch. Sein Motto: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. „Das hier ist ein Stück über Glauben. Betet, zu wem ihr wollt. Aber betet, dass der Regen nicht kommt.“ Sie wurden erhört. Am Ende dieser starken Wiederaufnahme aus dem vergangenen Jahr sind alle Kleider trocken – die Herzen aber im idealen Fall geflutet von Demut.

Zu hoch gegriffen? Es ist wahr, man kann sich schwertun mit Hugo von Hofmannsthals frömmelnder, nach hinten raus leicht ins Kitschige abdriftenden Allegorie über die Vergänglichkeit. Man hat schon sehr biedere Interpretationen gesehen, die einen ratlos zurückließen, wer in unserer immer weniger gottgläubigen Welt sich davon noch packen lassen sollte. Und dann kam 2024 Robert Carsen daher und hat es geschafft, das „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ mitten hinein ins Hier und Jetzt zu wuchten.

Seine Methode ist so einfach wie wirkungsvoll: Er bezieht das Publikum mit ein. Gleich zu Beginn wird aus einem Spielansager eine ganze Gruppe. Sie stehen da, vor dem Dom, der allein anfangs als Kulisse reicht. Und schauen uns direkt an. „Jetzt habet allesamt Achtung Leut!“ Eindringliche Botschaft: Dieses Stück betrifft dich und mich und jedermann. Der Tod (Dominik Dos-Reis) zeigt es uns ja mit seinem Finger, den er über das Publikum kreisen lässt. Wer ist als Nächstes dran? Er verschont keinen. Auch nicht den gut aussehenden Kerl, der da im fetten goldenen Schlitten auf die Bühne gleitet. Auftrittsapplaus für Philipp Hochmair. Dieser Jedermann könnte so auch im Premierenpublikum sitzen. Goldene Uhr, Lederslipper, adrette Frise. Wenn er mit seinem Reichtum protzt, tut er das mit vorgehaltener Smartphonekamera. Sehr heutig: ein sich ständig selbst Bespiegelnder – jedoch es fehlt: die Selbstreflexion.

Auch der Schuldner ist hier kein armseliger Mann in Lumpen. Sondern eher Kategorie René Benko im Businessanzug. Hat sich mit fremder Leute Geld übernommen. Und so kann man ihm folgen, dem Jedermann, der mitleidlos urteilt: „Er hat’s halt angelegt darauf.“ Carsen gelingt damit ein kritischer Blick nicht bloß auf den einen reichen Egoisten, sondern auf das gesamte kapitalistische System.

Das karge Bühnenbild wird immer reicher. Das Personal immer schillernder. Mittendrin die wohl überhöhteste Nebenrolle der Theaterwelt: Das Haar der Buhlschaft (Deleila Piasko) weht im Salzburger Wind. „Party like it’s the last Time“ dröhnt mit einem Mal über den Domplatz. Immer wieder setzt Carsen auf wuchtige Massenszenen wie diese. Rebecca Howell hat eine Choreografie zwischen „Saturday Night Fever“ und „La La Land“ erarbeitet, samt Breakdance auf den gold eingedeckten Tischen; mit einem knisternden Tango von Buhlschaft und Jedermann. Ein stimmiges Paar.

Immer schriller, lauter wird die Szenerie, immer weiter schnupfen sich die Partypeople in Ekstase. Bis zum Glockenschlag. Der Tod ist da, gekommen, den Jedermann zu holen. Und mit einem Mal: sind alle weg. Es ist die stärkste Szene an diesem Abend. Die ganze feine Gesellschaft rennt panisch davon. Der dem Tod Geweihte kann es nicht fassen: „Und war doch hier niemals allein.“ Doch, diese plötzliche Leere auf der Bühne zeigt die Leere in ihm und in den Beziehungen zu seiner oberflächlichen Mischpoke.

Der Teufel steckt hier im Detail – und im guten Gesell. Christoph Luser begeistert in der Doppelrolle. Besonders im Finale, wenn er in die hell erleuchteten Publikumsränge läuft. Und geifert über den „Weinzecher, Buhl, Verführer und Ehebrecher“. Er muss es nicht sagen, der Blick in seine rot unterlaufenen Augen zeigt an: Er meint nicht bloß den Jedermann, er meint uns alle.

Hofmannsthals versöhnlicher Schluss kommt oft unfreiwillig komisch daher. Nach dem Motto: Wenn du ehrlich bereust, Schwamm über all deine Sünden. Hier gerät er stimmig. Sehr feinsinnig lässt Philipp Hochmair die innere Wandlung seiner Figur sichtbar werden. Man nimmt ihm die Reue ab, weil Carsen ihm Zeit lässt zum Buße tun. Wie heißt es? „Hie wird kein zweites Mal gelebt.“ Nach diesem berührenden Schluss noch mal den Blick zum Himmel, Standing Ovations und das ergebene Gefühl: Vielleicht kein zweites Leben – aber ein neuer Anfang im jetzigen?KATJA KRAFT

Bis 27. August

Karten: salzburgerfestspiele.at.

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