Mit Vladimir Jurowski (re.) beim ersten gemeinsamen Auftritt in der Wiener Staatsoper. © Sofia Vargaiova
„Die letzten Tage der Menschlichkeit“ heißt das Programm von Georg Nigl (li.) und Nicholas Ofczarek, am 27. Juli gastieren beide im Prinzregententheater. © Nadine Poncioni
Pazifismus ist gerade out. Auch deshalb haben Bariton Georg Nigl und Schauspieler Nicholas Ofczarek ihren Abend konzipiert: „Die letzten Tage der Menschlichkeit?“, eine leichte Abwandlung des Tragödientitels von Karl Kraus. Im Januar kam das Projekt in der ausverkauften Wiener Staatsoper heraus, am 27. Juli gastieren beide im Prinzregententheater. Auf dem Programm unter anderem Lieder von Gustav Mahler und Hanns Eisler sowie Texte von Karl Kraus. Am Flügel sitzt Vladimir Jurowski.
Wie sind Sie eigentlich zusammengekommen?
Ofczarek: Ich habe seinerzeit von Regisseurin Andrea Breth gehört, Georg sei ein ganz toller Sänger. Ich hatte ein bisserl Angst. Der sei so wild, so irre, so unberechenbar, hieß es. Und dann gab es diese zufällige gemeinsame Zugreise von Wien nach München. Ich kann mich gar nicht mehr so gut daran erinnern. Wir haben sehr viel gelacht. Wir kennen uns eigentlich seit über 30 Jahren, da habe ich in Wien Improtheater gespielt in der Kleinkunstbühne „Kulisse“. Eine Mitspielerin, feuerrote Haare, hatte so ein Milchgesicht im Anhang: „Der will mal Sänger werden.“
Nigl: A guade G‘schicht. Es gibt noch eine andere. Ich war mit meiner damaligen Freundin im Theater. Und sie hat in der Pause gesagt: „Der Ofczarek spielt so toll, gerade wenn man weiß, dass der eigentlich behindert ist.“ Und ich habe zum Lachen angefangen: „Na, na, der spielt das doch nur.“ Ich habe ihm das in der Kantine erzählt, sie hat sich deswegen fast in die Hosen gemacht, doch er hat sich total darüber gefreut. Und ich wusste: Der Typ ist absolut auf meiner Wellenlänge.
Ofczarek: Es waren Hauptmanns „Ratten“ am Burgtheater, Andrea Breth führte Regie.
Sie sind beide Alphatiere auf der Bühne. Ist damit nicht eine kritische Masse überschritten?
Nigl: Selbstverständlich.
Ofczarek: Man kann auch sagen „Gleichgewicht des Schreckens“. Man weiß, wozu der andere fähig ist. Die Harmonie ist aber so groß, da gab es nie eine Störung. Gut, manchmal ist der Nigl noch jugendlich außer sich wegen irgendeiner Sache. Da sagt man: „Stopp, nicht in diesem Ton.“ Aber sonst: allergrößter Respekt, allergrößtes Einverständnis.
Nigl: Er regt sich immer auf, dass ich zu viel rede. Aber ich komme ja kaum zu Wort! Im Ernst: Es ist eine so große Freude, ein so großer Gewinn, mit ihm zu arbeiten. Die Proben gehören zum Schönsten, was ich mir vorstellen kann.
Ofczarek: Du wirst jetzt emotional. Darf ich mich mal fachlich äußern? Wir kommen aus der gleichen Stadt, sind ungefähr gleich alt, haben also die gleichen Zeiten in Wien erlebt und ähnliche Traditionen mitbekommen. Meine Eltern waren Opernsänger, sie hatten die gleiche Gesangslehrerin wie Georg, nämlich Hilde Zadek. Und in unseren beiden Metiers verbindet uns einiges. Wir sind immer auf der Suche. Uns ist es weniger wichtig, wie man eine Rolle spielt, sondern worum es in der Essenz geht. Und im Miteinander wollen wir zur inneren Freiheit gelangen. Wir sind beide in einer analogen Kunst unterwegs und wollen Inhalte über Professionalität und Qualität vermitteln. Unser Publikum soll ein gedankliches und sinnliches Erlebnis haben, das es sonst nicht bekommt. Und jetzt heißt es über unser Programm „Liederabend mit Rezitation“, da kriege ich Krämpfe. Was wir in München spielen, ist ein Theaterabend.
Nigl: Immer braucht es irgendwelche Laden, wo man was reingeben will. Wir wollen da ja gar nicht rein. Und wenn das einer mit uns versucht, sind wir eh gleich wieder hinten raus.
Herr Ofczarek, sind Sie manchmal neidisch auf den Gesang Ihres Kollegen?
Ofczarek: Wie kommen Sie darauf? Es ist genau das Gegenteil. Ich weiß, was das bedeutet, was dieser Mann macht und kann. Und ich bin verliebt in sein Können. Wir sind beide erklärte Handwerker. Außerdem kenne ich Neid sowieso nicht. Für mich ist das Ansporn. Ich bin ein um Struktur ringender Wahnsinniger, er auch.
Stimmt das?
Nigl: Absolut. Zu Zeiten Goethes hat in Weimar ein Sänger an einem Abend Figaro gesungen, am nächsten in der „Iphigenie“ gesprochen. So weit sind diese beiden Kunstformen nicht auseinander. Für mich ist die Arbeit mit Niki eine wahnsinnige Erweiterung dessen, was ich in meinem Job suche. Nur singen, das hat mich nie interessiert.
Ofczarek: Wir wollen keine Interpretation und irgendeine Ideologie über etwas legen. Wir stellen etwas zur Verfügung, in diesem Fall, dass wir zum Beispiel ein Musikstück von Hanns Eisler mit einem Text von Karl Kraus konfrontieren. Wir laden das Publikum ein, sich Gedanken zu machen.
Ist der Schauspieler in dieser Duo-Konstellation der größere Perfektionist?
Nigl: Gar ned. Ich lass ihn nur.
Ofczarek: Weil ich’s kann. (Allgemeines Gelächter.)
Haben Sie mit diesem Abend dasselbe Problem wie ein Kabarettist, der sich nur an seine Meinungsblase wendet?
Ofczarek: Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, da war es normal, sich eine gegenteilige Meinung anzuhören und diese mit seiner abzugleichen – um den Blick auf die Welt zu schärfen. Jetzt kann man im übertragenen Sinn an die Wand gestellt werden mit einer Meinung. Wir hauen den Leuten schon was hin, aber nicht, um sie von irgendetwas zu überzeugen – sondern damit sie ihre Biografie hinterfragen.
Nigl: Ich mag keine Sicherheit. Wenn man irgendwohin geht, um seine Erwartungen bestätigt zu bekommen, finde ich das furchtbar.
Nikolaus Harnoncourt sagte: „Ich bin überzeugter Pessimist, für mich ist jeder Optimist ein Trottel. Nachdem ich aber mit einer Optimistin verheiratet bin, kann es nicht ganz so schlimm sein.“ Kennen Sie das Gefühl?
Ofczarek: Ich bin ein verzweifelter Optimist. Auch Realist. Mir ist so viel widerfahren, und ich entscheide mich trotzdem für das Leben und den Optimismus. Pessimismus ist außerdem wahnsinnig unsexy.
Nigl: Bei mir regt sich wahrscheinlich doch der Katholizismus. Wenn’s mir wirklich schlecht geht, sage ich mir: Bleib‘ im Licht. Wenn man gerade alles um sich herum betrachtet, kann man eigentlich nur Pessimist sein. Andererseits jammere ich auf einem so hohen Niveau, dass man sich für sein Jammern nur genieren kann. Fast 300 Millionen Menschen sind vom Hunger bedroht. Unfassbar. Unsere Aufgabe ist es, in irgendeiner Art zu vermitteln, dass wenigstens ein bisserl an Problembewusstsein bei den Leuten ankommt.