Seit 25 Jahren spielt Jamie Cullum regelmäßig in München. Zum Publikum hier hat er eine besondere Verbindung. © Scharf
„Ganz ehrlich: Das hätte jetzt auch richtig schiefgehen können. Aber stattdessen war es einfach fantastisch.“ So kommentierte Jamie Cullum sein eigenes Experiment, einen Fan auf die Bühne zu holen, der mit einem Schild auf sich aufmerksam gemacht hatte. Dessen Bitte, sein Idol am Klavier begleiten zu dürfen, wurde erhört – und zu einem der vielen Highlights eines außergewöhnlichen Abends im ausverkauften Tollwood-Zelt.
Zum Abschluss-Konzert des diesjährigen Festivals strömte das Publikum noch einmal in Massen. Bei feucht-heißer Schwüle erinnerte das notorisch schlecht belüftete Zelt schon vor Konzert-Beginn an eine große Gemeindeversammlung im MississippiDelta, und als Cullum dazu dann schwarz gekleidet und mit Sonnenbrille den Abend mit der Bluesgospel-Hymne „Taller“ beginnt, ahnt man: Er meint es ernst. Cullum weiß, wie er seine Münchner Gemeinde begeistern kann – schließlich kommt er seit 25 Jahren auf das Festival und erklärt gleich zu Beginn: „München, we are Freunde!“ Nach einem langsamen Einstieg mit „Get your Way“ testet er das eher ältere Publikum mit dem Ray-Charles-Klassiker „What’d I say?“ – und prompt beginnen sich alle im Zelt (nur im hinteren Bereich bestuhlt) zu bewegen. Um dann bei „Work of Art“ und „When I get famous” zum ersten Mal hochzukochen – tanzend, singend, schwitzend, bei 30 Grad, ohne nennenswerten Sauerstoff.
Cullum gelingt mühelos, woran so viele scheitern in München: das Publikum mitzureißen. Dabei will er nicht nur Entertainer sein, immer wieder zwingt er zum Zuhören, baut leise Pausen am Klavier ein und gönnt seiner wie immer hervorragenden Band Zeit für Soli. Endgültig zum Überkochen bringt der Brite das Zelt mit seiner Version des Nina-Simone-Spirituals „Sinner Man“, das mit Anleihen an Paul Simons „Graceland“ mit afrikanischen Rhythmen nun niemanden mehr stehen oder sitzen lässt. Das Tollwood bebt, und Cullum ist sichtlich gerührt. Nach zwei Stunden fährt er die Temperatur langsam wieder herunter mit der Zugabe „What a Difference a Day makes“, das er allein am Piano mit einer spontanen Hymne auf das Festival verbindet: „Tollwood, you are the Best, that’s understood.“ Niemand wird ihm da widersprechen.MARKUS FRIEDRICHS