Der etwas andere Sängerkrieg auf der Wartburg: Szene aus der Kinderfassung des „Tannhäuser“, die wenige Stunden vor der „großen“ Premiere herauskam. © Enrico Nawrath
Zum ersten Mal dabei: Florian Silbereisen. © BABIRAD
Tausende kamen zum Open Air. Das Gratis-Konzert hat bei den Bayreuther Festspielen Tradition. © Karl-Josef Hildenbrand
Wiedersehen mit Verbeugung: Ministerpräsident Markus Söder mit Ex-Kanzlerin Angela Merkel. © Wittek/epa, Babirad
Irgendwann, vielleicht schon bald, wird das Promi-Grinsen auf dem roten Teppich dagegen verblassen. Weil sich das Spektakel 24 Stunden zuvor zur eigentlichen Festspiel-Eröffnung gemausert hat. Schon jetzt jedenfalls ist das Bayreuther Open Air unterhalb des Festspielhauses Kult. Erstmals gibt es im dortigen Park nicht nur die in Violett und Rot erstrahlende Bühne, sondern sogar zwei Übertragungswände. Tausende sind am Donnerstagabend gekommen, mit Klappstühlen, Decken, Picknickkörben. Viel Selbstgebackenes ist dabei, Moderator Axel Brüggemann kann sich einiges stibitzen, weil er die Gäste auf dem Rasen fast totredet.
Festspielchefin Katharina Wagner ist auch dabei, kurz zuvor hat sie den neuen Kulturstaatsminister durchs Haus auf dem Grünen Hügel geführt. Wolfram Weimer lässt sich zum Thema Erhöhung des Bundeszuschusses nicht viel entlocken: „Wir sprechen, und wir sind in guten Gesprächen, wir sind guter Dinge, dass wir da vernünftige Lösungen finden.“ Der Bund habe ja angekündigt, ebenso wie Bayern seine Anteile an der Gesellschaft von 29 auf 36 Prozent zu erhöhen. Nun steht Katharina Wagner auf der Bühne im Park, mit ihrem Appell an den Wettergott ist sie erfolgreicher, beim Freiluftspektakel bleibt es schwülwarm und trocken.
An Gratis-Abenden wie diesen wird deutlich, wie sehr sich das mittlerweile dem Publikum, besonders der Stadt Bayreuth geöffnet hat. Getränkestationen stehen auf der Siegfried-Wagner-Allee, der Auffahrtsstraße zum Festspielhaus, der Rote-Kreuz-Transporter wird nicht gebraucht. Es ist auch ein Familientreffen: Mancher hat seinen Hausausweis umgehängt, es sind Chor- und Orchestermitglieder, die neugierig auf das sind, was Kolleginnen und Kollegen auf der Bühne so treiben.
Das Programm schmeckt nach Bratwurst mit Vanillesoße. Auf Gershwins Ouvertüre zu „Girl Crazy“ („I got Rhythm…“) folgt der WahnMonolog des Sachs aus den „Meistersingern“, mit der Premiere dieses Stücks wurden am Freitagabend die Festspiele offiziell eröffnet. Aus Beethovens Fünfter gibt es Satz eins, Strauss‘ Salome darf den abgeschlagenen Kopf des Jochanaan küssen, Verdis Macbeth und Banquo begegnen sich auf der Hexenheide, das offizielle Programm beschließt der Trauermarsch aus der „Götterdämmerung“. Zwei Kilometer entfernt bebt es im Garten der Villa Wahnfried, es ist Richard Wagner, der im Grab rotiert. Sopranistin Gabriela Scherer, Bariton Michael Kupfer-Radecky und Bass Vitalij Kowaljow machen ihre Sache formidabel. Dirigent Pablo HerasCasado (er ist sonst für den „Parsifal“ zuständig) bringt Zug in die Häppchen-Hitparade, das Festspielorchester hat hörbar Lust, ständig nur Wagner ist ja auch schlecht fürs Gemüt.
Beste Laune verbreitet auch wenige Stunden vor der „großen“ Premiere die Kinderoper. „Tannhäuser“ ist auf der Probebühne vier dran, 60 Minuten, in denen Kindergeschrei dem phonstarken Bühnenpersonal Konkurrenz macht. Es ist der etwas andere Sängerkrieg auf der Wartburg (Regie: Nada Zimmermann, Dirigent: Azis Sadikovic): ohne Religion, dafür mit einem psychedelischen Venus-Planeten, Licht-Applausometer (das auf Brüllen und Trampeln des Publikums reagiert), gestandenen, schwer aufgekratzten Solisten wie Corby Welch (Titelrolle), Dorothea Herbert (Elisabeth) oder Michael Kupfer-Radecky (Wolfran) und einer Strichfassung, die munter durchs Stück pflügt. Am Ende große Versöhnung: Tannhäuser darf mit seiner neu gewonnenen Ex Elisabeth und der Liebesgöttin auf Urlaub zum Venus-Planeten. Was sie dort treiben? Die Erzählung sollte vielleicht erst nach 22 Uhr fortgesetzt werden.MARKUS THIEL
Nachtkritik
zur „Meistersinger“-Premiere unter www.youtube.com/
@markusthiel453.