Glückliche Fans: Von einer schlechten Wetterprognose ließ sich niemand die Stimmung vermiesen. © Martin Hangen
Mit 51 top in Form: Robbie Williams im Münchner Olympiastadion. © Martin Hangen
Vor den Gefahren Künstlicher Intelligenz warnen und sich dann von KI-generierten wiederauferstandenen Ikonen wie Elvis Presley und Freddie Mercury auf Großleinwand ankündigen lassen – ach, Robbie, möge in deiner Rotzigkeit auch nicht mehr so viel weißes Pulver wie früher hängen, du kannst es noch immer. Auf etwas bravere, etwas gesetztere Art. Das ist die Realität: Du bist glatter geworden, und wir sind es auch.
Samstagabend, 20.40 Uhr, Münchner Olympiastadion. Die Zuschauerränge: gesäumt von Regencape-Umhüllten. Neongelber Überwurf steht hier nicht für Aufbegehren gegen den Mainstream, sondern schlichtweg für Schutz gegen das Wetter. Das passt zu Robbie 2.0, einem Superstar, der am Konzerttag mit der Kamera durch die Innenstadt läuft, Passanten um ein gemeinsames Selfie bittet und sehr häufig auf sehr verdutzte Gesichter trifft. Subtext: Wer ist der alte Mann, der da so auf jugendlich macht? Man kann das also furchtbar cringe finden. Oder man gibt sich der Nostalgie hin und erinnert sich daran, dass dieser domestizierte Typ aus England mal unser König des Entertainments war.
Ist er ja im Grunde noch immer. Und wie stellt man sich als solcher vor? „My Name is Robbie fucking Williams. This is my Band, this is my Ass. Are you fucking with me?“ Und wie sie das sind. „Heute geht es nur um eins: Enter-Fucking-Tainment!“, setzt der 51-Jährige mit dem unverschämt gar nicht nach 51 aussehenden, durchtrainierten Körper nach. Denn: „Ich glaube, dass Entertainment alles ist. Das Leben ist hart, die Welt ist verrückt geworden. Wir müssen Räume haben, in denen wir diese brutale Welt hinter uns lassen können. Das hier ist so ein Ort.“ Das Versprechen: zwei Stunden Eskapismus mit dem „King of Entertainment“. So nennt er sich selbst. Um dann zu betonen, dass er das nur mithilfe seiner Fans sein kann. Deshalb erst einmal gemeinsames Aufwärmen der Stimme. Die Meute geht sofort von null auf 100. Zu Bon Jovis „Living on a Prayer“ singen sie mit, als hätte Williams schon „Angels“ angestimmt. Und er so: „Das war besser als Berlin!“
Er weiß natürlich, wie er sie reizen kann, die 70 000, die sich trotz mieser Wetterprognose auf den Weg in den Olympiapark gemacht haben. Robbie lockt sie aus der Reserve mit Vergleichen mit dem Publikum in der Hauptstadt, in der er gerade gespielt hat; mit Späßen über diejenigen, die verspätet eintrudeln („einen Applaus für die late Bastards!“), und immer wieder mit seinem charmanten Schrei nach Liebe. Schelmisch lächelnd dirigiert er das gesamte Stadion zu einem Jubel-Kanon. „Zeigt mir eure glücklichen Gesichter – das macht einen Narzissten wie mich glücklich!“
Es ist diese selbstironische Art, die Lust am Spiel mit sämtlichen Klischees über das an Eskapaden reiche Leben des einstigen Take-That-Sängers, die das Konzert zu einer emotionalen, weil sich persönlich anfühlenden Show machen. Das ist nicht mehr der verspulte Megastar, der kopfüber für Ekstase sorgte, das ist der Familienpapa, der zu sich gefunden hat. Aber trotzdem noch mit rotem Pelzmantel den Rock DJ gibt.
Er solle es genießen, habe ihm seine Frau Ayda vor der Tour gesagt. Weil’s ja nun wirklich nicht selbstverständlich sei, dass da so viele Leute kommen, dass sich ganze Stadien für ihn füllen. „Sie hat Recht. Es geht nicht um morgen, es geht nicht um gestern. Sondern es geht um den Moment, right now.“ Viele solche Weisheiten gibt Robbie, der fast so viel spricht wie er singt, seinen Fans an diesem Abend mit auf den Weg. Und kredenzt mit großer Freude Klassiker der Kollegen. Von „Another one bites the Dust“ (Queen) über „Everybody needs somebody to love“ (Blues Brothers) bis „Y.M.C.A.“ (Village People) – das Medley, mit dem er gleichzeitig seine fantastischen Bandmitglieder vorstellt, sorgt für noch mehr Gemeinschaftsgefühl. Weil: Wer Robbie seit Jahrzehnten liebt, der liebt auch diese Evergreens.
Zuletzt gibt er den Frank Sinatra im pinken Anzug. Schwärmt von „New York, New York“, träumt dann von „Something beautiful“, um die glücklichen Fans schließlich mit seinen beiden Übersongs in die Münchner Nacht zu entlassen: Bei „Feel“ und „Angels“ wird sogar der Himmel schwach, der bis kurz vor Konzertende gehalten hat. „Come on hold my Hand, Munich!“ Ihre Handys sollen sie rausholen und die Taschenlampen anmachen. Da funkelt das Stadion wie der Sternenhimmel. Wie heißt es in „Angels“? „When I’m feeling weak/ And my Pain walks down a one Way Street/ I look above/ And I know I’ll always be blessed with Love“. Vielleicht braucht es gar nicht immer die ganz große crazy Show. Vielleicht ist so ein fröhlich selbstironisch netter Abend mit Robbie das, was wir gerade alle am nötigsten haben. Die glücklichen Gesichter jedenfalls, die hat er bekommen, der liebenswerteste Narzisst des Popzirkus.KATJA KRAFT