Natürliche Intensität, großartige Stimme: Fleur Barron gestaltet den „Abschied“ aus Mahlers „Lied von der Erde“. © Ruth Walz
Diese Frau muss nicht lange suchen. So wie eigentlich in Arnold Schönbergs „Erwartung“, wo sie durch einen nächtlichen Wald irrt auf der Suche nach dem Geliebten, irgendwann stößt sie zwischen hohen Bäumen mit dem Fuß an dessen Leiche. Hier ist ab Minute eins die Sache entschieden. Zwei Männer schleifen einen Leichensack herein. Was nun folgt, ist eine 30-minütige (An-)Klage und noch mehr: „Der Abschied“, das letzte Stück aus Gustav Mahlers „Lied von der Erde“, und dazwischen als poröser Kitt Anton Weberns fünf Stücke für Orchester.
Macht zusammen knapp 65 Minuten, es ist die wohl kürzeste Musiktheaterpremiere seit Bestehen der Salzburger Festspiele. Wobei dafür ziemlicher Aufwand getrieben wird. Bühnenbildner George Tsypin hat schlanke, langsam rotierende Metallrohre entworfen, es ist ein stilisierter Wald, dazu XXL-Kieselsteine, und alles im Cinemascope-Format der Felsenreitschule. Das Setting suggeriert Bedeutung, im Programmheft raunt Regie-Veteran Peter Sellars von zwei Frauen als Mitgliedern einer Widerstandsbewegung, von Mord und Ungeheuern der Nacht. Beim Lesen springt das Kopfkino an, beim Sehen stellt sich kaum etwas davon ein. Der Titel „One Morning turns into an Eternity“ (Ein Morgen wird zur Ewigkeit) unterfüttert das poetisch, kann aber auch gegen die Aufführung verwendet werden.
Was wir bei „Erwartung“ stattdessen erleben: Ausrine Stundyte, die Schönbergs Verzweiflungsexzess angemessen durchleidet und durch ihr intensives Spiel fesselt, weniger durch den Gesang – da ist kaum ein Wort zu verstehen. Die Stimme ist belastbar, auch in der gezackten, auffahrenden Dramatik der Partitur. Und doch liegt bei Schönberg vieles in Butterlage, eine genauere Artikulation wäre möglich. Was szenischer Eigenbau der Sängerin, was von Sellars, das lässt sich nicht ausmachen. Ist vom Mondlicht die Rede, werden die Scheinwerfer gedimmt, singt sie vom hellen Tag, wird‘s grell. Lichtregie, hier verantwortet von James F. Ingalls, war schon mal subtiler.
Wie sehr gestisches Singen fehlende Regie ersetzen kann, erleben wir im fast halbstündigen Mahler-Lied. Da steht Mezzosopranistin Fleur Barron auf der Bühne. Und man staunt: über ihre natürliche Intensität, ihre energiereiche Tonproduktion, den großen, bis ins Sopranige reichenden Stimmumfang und den weiten Klangraum, den sie sich unforciert erobert. Manches klingt nach Brigitte Fassbaender. Die Ausweglosigkeit des lyrischen Ichs, Mahlers emphatisch auskomponierte Leere, all das kann Fleur Barron hörbar machen.
Die Wiener Philharmoniker fühlen sich hier am wohlsten. Aus dem Graben dringt pures Klanggold, auch Schönberg und Webern entfalten unter den Händen von Esa-Pekka Salonen mürbe Schönheit. Dramaturgisch ist die Stück-Koppelung plausibel: eine Meditation über Verlust und Abschied, über Abgründe und inneres Ödland, über das Irren durch Seelenzustände, auch über Verzweiflung und Wut, die durch all dies ausgelöst werden. Und doch durchweht die Aufführung der Ruch des (zu) schnell Arrangierten. Peter Sellars lässt sich gern und viel buchen, vor Kurzem war er noch beim Festival in Aix-en-Provence aktiv.
Man muss nicht gleich zu Wagners „Liebestod“ aus „Tristan und Isolde“ greifen. Aber die Musikliteratur bietet fast unzählige Beispiele, die das Thema von Sellars weitergeführt, vertieft und kontrastiert hätten. Sein Abend wirkt wie eine Vorstudie – für bis zu sechs Euro pro Minute.
Weitere Vorstellungen
am 2., 10., 15. und 18. August; Telefon 0043/ 662/ 8045-500.