Dominique Horwitz spricht alle Rollen. © B. Müller, Archiv
Marionetten wie expressive Skelette: In Strawinskys „Die Geschichte vom Soldaten“ schließt Letzterer (re.) einen Pakt mit dem Teufel. © Bernhard Müller
Abgemagert sind sie alle bis auf die Knochen. Es herrscht Krieg, das passt also. Kein Muskelfleisch, nicht einmal ein Gewand: Diese Marionetten sind Skelette. Eine hat eine besonders lange Schwanzwirbelsäule, die sich schlangengleich hebt und streckt, skurrile Effekte lassen sich damit machen – es ist der Teufel. Fädengestalten von alter Tradition, das war mit einem solchen Künstler ohnehin nicht zu machen: Georg Baselitz, 87-jähriger Maler und Bildhauer, ist der Lockstoff der Festspielpremiere. Für diese Aufführung hat er die Marionetten entworfen. Zunächst waren realistische Entwürfe im Spiel, Baselitz hat sie alle verworfen.
Im Salzburger Marionettentheater sitzt er nun ganz vorn rechts im Rollstuhl. Vor der Aufführung lässt er huldvoll ein Defilee vorbeiziehen, am Ende erhebt er sich kurz unter Mühen. Es gibt Standing Ovations, was sonst. „Die Geschichte vom Soldaten“ ist vielleicht die eigenwilligste Produktion des Festivalsommers. Mehrere Genres machen gemeinsame Sache. Das große Sommerspektakel mit dem intimen Marionettentheater und seinen wunderbaren Spielerinnen und Spielern. Der Kunst-Star mit der Musik (dreimal hat er das bereits getan, unter anderem bei den schauerlichen Bühnenbildern zum Münchner „Parsifal“). Und da gibt es noch ein handverlesenes Mini-Orchester (die großartige Geigerin Isabelle Faust etwa, der Mega-Trompeter Reinhold Friedrich oder BR-Solo-Schlagzeuger Raymond Curfs) plus Schauspieler Dominique Horwitz.
Letzterer thront vor der kleinen Bühne und ist ein Stimmenchamäleon. Alle Rollen spricht Horwitz, hochmusikalisch, weil er manchmal rhythmisiert zu Strawinskys Klängen deklamiert. Doch nie drückt er drauf und lässt sich zu Karikaturen hinreißen. Von einem geigenden Soldaten erzählt er, der einen Pakt mit dem Teufel eingeht: Instrument gegen magisches Buch, dem Höllenmann soll er Unterricht geben. Dieser dauert nicht drei Tage, sondern drei Jahre, was den Lebenslauf des Soldaten durcheinanderwirft. Eine Prinzessin rettet er mit seinem Spiel, doch an der Schwelle zur Heimat bleibt sie zurück, der Soldat gerät endgültig in die Fänge Luzifers.
Strawinskys Einakter, ursprünglich gedacht für eine Wanderbühne, wurde 1918 uraufgeführt. Die Verheerungen des Krieges waren noch längst nicht überwunden. Aufs Essenzielle verknappte Stücke sind das, ein wiederkehrender Marsch, Tänze oder ein Choral. In Salzburg werden sie vom Instrumentalsextett sehr al dente und mit trockenem Swing gespielt. Gern hätte man mehr gehört, doch der Wortanteil in den 80 pausenlosen Minuten ist hoch. Es gibt zwar Seitentitel, für internationales Publikum dürfte die Sache trotzdem schwierig werden.
Die Marionetten von Baselitz haben nicht nur kein Fleisch, auch die Gesichter sind nur angedeutet. Expressive, antirealistische, antiniedliche Figuren sind das. Und trotzdem entfaltet sich ein skurriler, grotesker Zartbitter-Zauber vor Kulissen, die ebenfalls von Baselitz gezeichnet wurden. Einmal nimmt die Prinzessin ein Schampus-Bad, wenig später ist sie beim Tanz in dreifacher Gestalt zu erleben. In der Kussszene hebt sie nur kurz das Bein, allgemeines Lächeln darüber, mit welch wenigen Zeichen sich so viel erzählen lässt. Und man staunt, wie das alles die elf Marionettenspielerinnen und -spieler realisieren. Für die Inszenierung wird Matthias Bundschuh, Schauspieler und immer häufiger Regisseur, genannt. Man darf davon ausgehen: Bei diesen hochversierten Theaterleuten war nicht viel Anleitung nötig.
Zweimal hängt der Teufel verkehrt herum aus dem Schnürboden, Baselitz, berühmt für seine KopfüberGemälde, hinterlässt da eine Stilduftmarke. Das Ende kommt ohne Wehmut und Trauer. Strawinsky hasste romantisches Sentiment, das beim Publikum um Identifikation buhlt. Außerdem, auch das zeigt dieses Märchen, ist in Zeiten von Teufel und Krieg Gefühligkeit ja fehl am Platz.
Weitere Vorstellungen
am 31. Juli, 1., 2., 3. August (teils zweimal täglich); Telefon 0043/ 662/ 8045-500.