Einen spannenden Mix aus Vorstellungen, Workshops und Gesprächen bietet die Tanzwerkstatt Europa, die am Dienstag in München startet. Unser Bild zeigt eine Szene aus der „Final Lecture“ von 2023. © Alex Ulbrich
„Jeder Mensch ist ein Tänzer“, das war die selbstbewusste Parole im Aufbruch des freien Tanzes in den 1910er-/1920er-Jahren. Nach dieser Devise startete der Münchner „Joint Adventures“-Chef Walter Heun, unterstützt von der Stadt, 1991 seine Tanzwerkstatt Europa (TWE). Als Veranstalter im Bereich Tanz war er schon zuvor erfolgreich, bis hin nach Österreich und der Schweiz. Aber sein Festival war dann doch etwas Besonderes.
Der Titel sagt’s schon: Die TWE garantiert einmal ein Programm mit internationalen Choreografen. Die parallel laufenden Kurse für Anfänger, Fortgeschrittene und Profis laden ein, Tanz ganzheitlich zu erfahren – aktuell vom 5. bis 15. August.
Mit seiner TWE war Heun 1991 hierzulande Pionier. Nach 34 Jahren die Frage: Gibt es Veränderungen? Dazu Heun: „Ja schon. Workshops über zehn Tage sind heute weniger gefragt. Also haben wir meist auf fünf Tage begrenzt – mit der Möglichkeit, noch einen weiteren Kurs zu belegen.“ Und gleich schiebt Heun uns das Workshop-Programm über den Tisch. Das Kursangebot ist breit, die Wahl regelrecht schwierig: „Feldenkrais intensiv“ oder „Storytelling through Movement and Presence“ oder doch „Tai-Chi Dao-Yin“? Letzterer Kurs, entwickelt in Taiwan von Meister Hsiung Wei, zielt darauf ab, die innere Körperenergie (Chi) zu harmonisieren und das körperliche und geistige Wohlbefinden zu fördern. Heißt konkret: Man muss sich einlassen auf spiralförmig kreisende und wellenartige Bewegungen. Ergebnis am Ende: gedehnte und tiefenentspannte Muskeln und Sehnen. Klingt schon in der Beschreibung wohltuend.
Das Kurs-Angebot ist klug variiert: vom zeitgenössischen Tanz für die „Golden Agers“ bis hin zu „Basic Boxing Training“ und Aikido, einer betont defensiven japanischen Kampfkunst. Und ganz im Trend das aktuelle Angebot mit den urbanen Tanzformen Hip-Hop, House und Funk – sowie dem ganz speziellen „Gaga“. Entwickelt hat den Gaga-Stil der international bekannte israelische Choreograf und künstlerische Leiter der Batsheva Dance Company, Ohad Naharin, nach einer Rückenverletzung. Er fand diese Trainingsform dann geeignet für das BatshevaEnsemble, aber auch für Laien. Kurz gefasst: Gaga fördert das Erforschen eigener Bewegungsmöglichkeiten. Münchner Tanzfans kennen bisher wohl eher den Choreografen Naharin: 1991/92 erwarb das Bayerische Staatsballett von ihm „Tabula Rasa“, „Innostress“ und „Passomezzo“. In der TWE wäre nun Gelegenheit auszuprobieren, wie Gaga durch Empfinden und Vorstellungskraft zum Tanzen führt.
Jetzt zu den Vorstellungen: Der Belgier Wim Vandekeybus, mit seiner Ultima Vez hier seit den späten Achtzigerjahren bekannt, macht am 5. und 6. August den Auftakt mit „Void“, einer Choreografie über Außenseiter unserer Gesellschaft. Der Schwede Jefta van Dinther (im vergangenen Mai auch Gast der Dance-Biennale) präsentiert am 8. und 9. August „Remachine“, ein Stück für sechs Akteure auf einer sich drehenden Scheibe – Sinnbild für den prekären Zustand unserer Gegenwart. Für diese beiden Produktionen, jeweils in der Muffathalle, gibt es vorab (kostenfrei) in den Muffatstudios eine halbstündige Einstimmung in die Grundprinzipien der anschließenden Performance, also eine Art Warm-up für Kopf & Körper. Traditionell findet zum Abschluss am 15. August in der Muffathalle kostenfrei die „Finale Lecture Party“ statt: eine Übersicht über die Workshop-Ergebnisse. Die fünf weiteren TWE-Gastproduktionen sind zu sehen in der Muffathalle, im HochX und im Schwere Reiter. Dort ist auch am 10. August die beliebte „Open Stage“, ein Abend mit Stücken des vielversprechenden Nachwuchses.
Abschließend verweist Walter Heun auf die Vortrags- und Gesprächsreihe. Eine wichtige Frage für ihn: „Welche Rolle kann die Kunst, können insbesondere Tanz und Performance im öffentlichen Raum spielen?“ Genau in diese Richtung wird gedacht und diskutiert – mit Koryphäen und Interessierten aus Performance- und Tanztheorie, aus Politikwissenschaft und Soziologie.MALVE GRADINGER
Weitere Informationen
und Workshop-Anmeldung unter www.jointadventures.net sowie am 1. Workshop-Tag vor Ort. Karten für die Performances unter www.muenchenticket.de und an der Abendkasse.