Kunstjuwel: Eingang zum Gulbransson-Museum.
Als skurriles Unikum gefiel sich der gebürtige Norweger Olaf Gulbransson (1873-1958), der die Sommermonate im Tegernseer Tal genoss. © Ullstein, Gulbransson-Museum
Wenn man als Münchner Verleger einen Zeichner für seine Satire-Zeitschrift suchte, würde man dann als Erstes Norwegen als Ziel ansteuern? Eher nicht. Albert Langen, der um die vorige Jahrhundertwende den „Simplicissimus“ zur Spötter-Legende machte, fuhr aber nach Christiania (heute Oslo). Langens Schwester Elsbeth war mit dem Sohn Einar von Literaturnobelpreisträger Bjørnstjerne Bjørnson verheiratet – und der hatte einen Tipp. Ein gewisser Olaf Gulbransson (1873-1958) hatte mit frappant treffsicherer, zugleich modern geführter Linie Berühmtheiten porträtiert.
2400 Zeichnungen in 42 Jahren
1902 war also ein Norweger, der keinen Schimmer hatte von der politischen und gesellschaftlichen Lage, in Bayern gelandet und schuf in den kommenden 42 Jahren über 2400 Zeichnungen, mal fürs Cover des „Simpl“, mal im Blatt selbst mit einer bissigen Unterzeile, die Kollegen formuliert hatten. Sie und die Münchner Bohème nahmen den stattlichen Kerl unter ihre Fittiche, was Politinformationen und das soziale Miteinander anging. Für Letzteres sorgte vor allem die Schriftstellerin Grete Jehly, ab 1906 Gulbranssons zweite Frau.
Viele Schlaglichter wirft das Buch „Olaf Gulbransson Museum Tegernsee“ auf den Karikaturisten, Illustrator und Maler: Trotz aller Kürze ist das enorm kenntnisreich, leuchtet umfassend Aspekte aus, legt auch die anbiedernde Haltung des Künstlers den Nazis gegenüber dar (wobei er sogar Unterstützer wie Thomas Mann und Max Liebermann verriet).
Das skurrile Unikum wird in diesem Buch nicht vergessen, denn Gulbransson wurde zum Ur-Bayer, der ein Ur-Norweger blieb. Gerade im Tegernseer Schererhof konnte das Mannsbild, immerhin Akademieprofessor, nackert herumlaufen und baden: Popo frei, vorn ein lederner Lendenschurz und höchstens bei Sonne der Glatzkopf von einem Tuch bedeckt. Deswegen karikierte er sich gern als Seehund oder feisten Kater. Am tiefgehendsten ist das Selbstbildnis von 1937: ein skulptural massiver, braun gebrannter Oberkörper, das Gesicht indifferent und verschlossen im Ausdruck, die Augen fast verschwunden, der runde Schädel gekrönt von einem kunstvoll geschlungenen weißen Tuch, in dem ein grüner Zweig steckt.
Da es sich bei dem Buch um einen Museumsführer handelt, wird die Geschichte dieses Kunstjuwels in Tegernsee, das ja monothematisch Gulbransson gewidmet ist, ebenfalls erzählt. Das Institut ist so unwahrscheinlich wie ein Norweger in Bayern. Wieder ist eine Frau entscheidend. Der Künstler, der es mit der emanzipierten Jehly nicht mehr aushielt, hatte 1923 die um Jahrzehnte jüngere Dagny (1901-1988), übrigens Enkelin von Bjørnson, geheiratet. Dieser energischen Strippenzieherin ist das Museum zu verdanken. Als Nachlassmanagerin „speiste“ sie nicht nur das Museum mit Gulbranssons Schaffen. Sie stachelte einflussreiche Kunstnarrische an wie den Architekten Sep Ruf, den Kanzler Ludwig Erhard und weitere Politiker, dann diverse Wirtschaftsbosse und Chefs der Staatsgemäldesammlungen, zuletzt Herzog Ludwig Wilhelm in Bayern.
1966 war der zarte Pavillon von Sep Ruf fertig, und es gründete sich die „Olaf Gulbransson Gesellschaft e. V. Tegernsee“, die noch heute das Ausstellungsleben prägt (wie berichtet gerade mit steigenden Besucherzahlen). Schon 1971 war dem Verein klar, dass er den Museumsalltag nicht mehr allein schultern konnte. 1973 schlossen Dagny Bjørnson-Gulbransson und die Gesellschaft einen Vertrag mit Bayern. Das Haus, heute zweimal erweitert, war nun in der Obhut der Staatsgemäldesammlungen, die die Dauerausstellung betreuen und sie 2023 zum 150. Geburtstag des Künstlers neu konzipiert haben.
Neben Informationen, Anekdoten und architektonischen Erläuterungen zeichnet das Buch aus, was es in Museumsführern sonst nicht gibt: persönliche Worte. Gesellschaftsmitglieder wie Herzogin Anna in Bayern, Mon Muellerschoen und der Vereinschef Michael Beck schildern ihre Gedanken zu den Gulbransson-Gemälden, auch Andrea Bambi, seit 2012 Referentin an den Staatsgemäldesammlungen fürs Tegernseer Haus, und Sandra Spiegler, die sich darum museumspraktisch kümmert. Fotos mit gut ausgesuchten Gulbransson-Schnappschüssen ergänzen alles.S. DATTENBERGER
Andrea Bambi (Hrsg.):
„Olaf Gulbransson Museum, Tegernsee“. Allitera Verlag, München, 147 Seiten mit vielen Bildern; 19,90 Euro.