NACHRUF

Spaziergänger der Fantasie

von Redaktion

Trauer um Robert Wilson, einen Magier nicht nur des Theaters

Fantasievolle Tableaus: 1997 bespielte Wilson die Villa Stuck. © Barbara Volkmer

Robert Wilson (1976-2025). © JOEL SAGET/Afp

Auseinandersetzung mit Märchen und Mythen: „The Forest“ schuf Wilson 1988 mit David Byrne – nach einem Text von Heiner Müller und Darryl Pinckney. © Ullstein

Robert Wilsons sehr persönlicher Passionsweg in Oberammergau: „14 Stations“ nannte der Künstler die 2000 entstandene Arbeit; hier die Installation „Auferstehung“. © MZV-Archiv

So etwas hatte man noch nie auf dem Theater gesehen. An den Münchner Kammerspielen trumpfte am 29. Mai 1982 ein Regisseur aus Texas leise und bescheiden, anspruchsvoll und einzigartig auf: Robert Wilson. Auf der Bühne die Alt-Stars des Hauses, Maria Nicklisch und Peter Lühr, sowie die Jungen, Edgar Selge und Irene Clarin. Raum, Licht, Gestik, Sprache zogen einen von Anfang an in den Bann, und dennoch schien alles so abstrakt und neu. Zum Inhalt des formalen Bühnengeschehens ließ sich zunächst nichts erfahren. Aber allmählich kapierte man, dass eine vermutete Handlung in jedem Schauspieler selbst erfunden wird. Sie blieb jedoch sein Geheimnis. Durch die unglaubliche Präzision seines Spiels in Verbindung mit Tönen, Texten, Klängen, mit Licht und Bühnentechnik, Gängen, Gesten und Mimik entstand ein szenischer Organismus, aus dem jeder Zuschauer sich sein eigenes Stück zusammenfügte. Michael Wachsmann, Vordenker der damaligen Kammerspiele, nannte Wilsons Intention, einen Raum zu schaffen, „in dem die Fantasie spazieren kann“. Nichts würde dem Zuschauer aufgenötigt. „Hier wird nicht die Kunst auf Lebensgröße runtergebracht… Der Ästhet als Anarchist.“

Dass das seine Wirkung nicht verfehlte, dass der Zuschauer durch die sanfte Revolution der Ästhetik in die Lage versetzt wurde, „die Schöpfung neu zu träumen“, bedarf es der besten Schauspieler. Und die standen Robert Wilson in München auch bei seinen weiteren Inszenierungen zur Verfügung: 1989 Romuald Pekny in „Schwanengesang“ und 1994 das Ensemble in „Der Mond im Gras“. Bald darauf noch einmal Bayern, Oberammergau. Zur Passion 2000 schuf er mit „14 Stations“ einen ungewöhnlichen, sehr persönlichen Passionsweg – Kreuzweg-Kapellen aus 14 jungen Bäumen errichtet.

Als habe die europäische, die deutsche Theaterwelt auf diesen Robert Wilson nur gewartet, um befreit zu werden aus den psychologischen Niederungen eines abgehalfterten Realismus. Der am 4. Oktober 1941 in Texas geborene, vielseitige Künstler warf 1976 mit „Einstein on the Beach“ von Philip Glass seinen Hut in den Ring der alten europäischen Theaterwelt, die er seither prägte. Und die auch ihn prägte. 1979 machte Wilson Station an der Berliner Schaubühne mit „Death, Destruction & Detroit“, und fortan rissen sich die Theater um diesen Mann. Seine wohl wichtigste Begegnung war für ihn der Dichter Heiner Müller. 1986 inszenierte Wilson dessen „Hamletmaschine“ in New York und in Hamburg. Seither verband beide eine Freundschaft. Und als Müller 1995 starb, gestaltete Wilson im Berliner Ensemble die Trauerfeier mit sehr persönlichen, innigen Worten für den zwölf Jahre älteren Freund und intellektuellen Partner.

Für viele Jahre wurde Hamburg Wilsons Theater-Hauptstadt. Vor allem wegen seiner legendären Inszenierung von „The Black Rider“ mit der Musik von Tom Waits, 1990. Jahrelang stand sie auf dem Spielplan des Thalia-Theaters. Und als einige Zeit später Jochen Schölch in seinem Münchner Metropol Theater den „Black Rider“ auf die Bühne brachte, wurde auch diese kultische Aufführung zum dauerhaften Publikumserfolg.

Längst hatte das Musiktheater diesen Magier aus Texas für sich entdeckt. Wagners „Parsifal“ an der Hamburgischen Staatsoper, sein „Ring des Nibelungen“ in Zürich, Debussys „Pelléas et Mélisande“ bei den Salzburger Festspielen – dies nur eine Kleinstauswahl. Robert Wilson war ein Unermüdlicher. Zuletzt brachte er am 7. September 2024 „Moby Dick“ von Herman Melville in Düsseldorf auf die Bühne. Aber die Jahre davor gehörten immer wieder dem Berliner Ensemble. Drei Produktionen sollen hier genannt sein: 2003 „Leonce und Lena“ mit der Musik von Herbert Grönemeyer. Unbedingt zu erinnern ist an Wilsons Inszenierung der „Dreigroschenoper“ von 2007, nach der es jeder Regisseur, auch Barrie Kosky mit seiner Nachfolge-Version, schwer hat, sich zu behaupten. Und nicht zuletzt Wilsons „Faust I und Faust II“ aus dem Jahr 2015. Dieser neu gedachte, theatralisch hochgradige Irrsinns-Ritt durch das, was die Welt im Innersten zusammenhält, bleibt unvergessen.

Am 31. Juli ist Robert Wilson im Alter von 83 Jahren in New York gestorben. SABINE DULTZ

Artikel 6 von 11