Russischer Autor im Exil: Vladimir Sorokin. © M. Sorokina
„Alles ist da, um im Theater verwendet zu werden“, sagt Kirill Serebrennikov über seine Inszenierung des Sorokin-Romans „Der Schneesturm“ für die Salzburger Festspiele. Premiere ist an diesem Samstag. © SANDRA THEN
Natürlich ist es Zufall. Da treffen sich in der Nacht auf Samstag Putin und Trump am Ende der Welt – konkret: auf einer US-Militärbasis bei Anchorage in Alaska –, um die Zukunft der von Russland überfallenen Ukraine zu verhandeln. An diesem Samstag hat nun „Der Schneesturm“ bei den Salzburger Festspielen Premiere – der russische Theatermacher Kirill Serebrennikov bringt den gleichnamigen Roman seines Landsmanns Vladimir Sorokin auf die Bühne. Beide leben inzwischen im Exil; der Autor ist seit Februar 2022 mit seiner Frau in Berlin-Charlottenburg zu Hause. Hier hatte das Paar bereits einen Zweitwohnsitz. „Ich habe das Ausmaß von Putins Wahnsinn unterschätzt. Er zerstört alles, was er berührt. Er sagt, er habe Russland von den Knien gehoben, aber in Wirklichkeit hat er es zerstört“, wird der Schriftsteller, der 1955 bei Moskau geboren wurde, kurz nach Kriegsbeginn zitiert.
Das Treffen in Alaska wirkt tatsächlich wie aus einem Sorokin-Roman: Zwei autoritäre Herrscher, zwei hingebungsvolle Selbstdarsteller, einer ein Kriegstreiber, der andere hätte so gern den Friedensnobelpreis – sie sprechen in militärischer Kulisse über den Lauf der Welt. Macht und ihre Inszenierung ist ein Thema, das elementar ist im Werk dieses Autors. In den Neunzigern wurde er zur wichtigen Stimme der russischen Postmoderne und international gefeiert. Er hält in seinem Schreiben stets Kontakt zu den Größen der russischen Literatur, in „Der himmelblaue Speck“ (1999) werden Tolstoi, Dostojewski, Tschechow und Co. gar im Genlabor nachgezüchtet, denn ihr Schreiben sorgt für die titelgebende Substanz, die Energiequelle und Droge ist.
Groteskes, Science-Fiction und immer wieder die Natur als unberechenbares Chaos: Der Autor nutzt den wilden, auch derben Mix, um die Gegenwart zu analysieren und zu demaskieren. Sorokin rechnet ab mit (russischem) Nationalismus, neoimperialistischem Streben und einem pervertierten Kapitalismus. So schildert er etwa in „Manaraga“ eine digitale Zukunft, in der keine Bücher mehr gedruckt werden. Die Superreichen der Welt lassen bibliophile Erstausgaben aus Museen und Sammlungen rauben, um sie bei „Book’n’Grill“-Events als Brennstoff für die Zubereitung ihrer Speisen zu verheizen.
In vielen Texten arbeitet Sorokin zudem die enorme ideologische Leere in seiner Heimat nach dem Untergang der UdSSR heraus. Und er erzählt von den Versuchen, diese zu füllen: durch Brutalität, Großmannssucht, überdrehte Religiosität und Sexualität, übersteigerte Nostalgie.
Klar, dass das bereits vor dem Überfall auf die Ukraine nicht allen in Russland gefallen hat. Die Putin-Jugend etwa baute einst vor dem Bolschoi eine überdimensionale Toilette nach, um Sorokins Bücher darin wegzuspülen. Gerichtsverfahren musste sich der Autor ebenfalls stellen.
In München sollte in der Saison 2012/13 die Bühnenfassung seines Romans „Der Tag des Opritschniks“ (2006) am Bayerischen Staatsschauspiel herauskommen. Die Inszenierung hat es nie bis zur Premiere geschafft. Schade. Die Handlung ist 2027 in Russland angesiedelt, das sich mit einer großen Mauer gegen das niedergegangene Europa abschirmt.
By the way: Die USA spielen in dieser Geschichte keine – also wirklich gar keine – Rolle mehr. (Ob Trump vor dem Gespräch mit Putin Sorokin gelesen hat?) China ist hier neben Russland die alles entscheidende Macht. Und Chinesen haben auch am Ende von „Der Schneesturm“ (2010) ihren knalligen Auftritt. Sie stecken alles, was sie in die Finger bekommen, in ihren Sack.MICHAEL SCHLEICHER