Von Wintersturm und Wonnemond

von Redaktion

Yannick Nézet-Séguin und die Wiener Philharmoniker mit Wagner in Salzburg

Beim kräftigen Schlussapplaus: (v. li.) Dirigent Yannick Nézet-Séguin, John Relyea (Hunding), Stanislas de Barbeyrac (Siegmund) und Elza van den Heever, die als Sieglinde eine glänzende Visitenkarte für diese Rolle in Bayreuth 2026 gab. © Marco Borrelli

Richard Wagner ist im Sommer normalerweise den Bayreuther Festspielen vorbehalten. So ganz verzichten will man auf ihn aber auch in Salzburg nicht. Schon gar nicht die Wiener Philharmoniker, die hier wieder einmal einen wahren Konzert-Marathon absolvieren. Hin und wieder kocht aber selbst dieser Luxus-Klangkörper nur mit Wasser. So wie nun beim Vorspiel zum „Lohengrin“, das bei der samstäglichen Matinee im Großen Festspielhaus eher dem Aufwärmen zu dienen schien.

Hinein in mythische Sagen

Was allerdings auch ein wenig an Dirigent Yannick Nézet-Séguin liegen mochte, der schon bei den ersten ätherisch flirrenden Takten kräftig zupackte und diesem langsam anschwellenden Crescendo so einiges an Steigerungspotenzial nahm. Auf filigrane dynamische Nuancen, wie sie jüngst etwa ein Christian Thielemann auf dem Grünen Hügel wieder aus derselben Partitur herauskitzelte, wartete man bei dieser eher geerdeten Lesart vergebens und durfte stattdessen durchwegs in wonnig wogenden Klangfluten baden.

Dies mag jetzt Erbsenzählerei auf allerhöchstem Niveau sein. Doch ein Orchester, das im Programmheft nicht ganz zu Unrecht von sich behauptet, seit mehr als 180 Jahren das musikalische Weltgeschehen zu prägen, legt sich mit solchen Aussagen eben selbst die Messlatte noch mal ein Stückchen höher.

Wohler schienen sich Nézet-Séguin und die Wiener da schon in der mythischen Sagenwelt des „Nibelungen-Rings“ zu fühlen. Angefangen beim behutsam ausgebreiteten „Siegfried-Idyll“, das er mit breiten Tempi zelebrierte und die Leitmotive quasi unter dem Mikroskop betrachtete. Und ähnlich viel Raum gönnte er sich nach der Pause ebenfalls beim ersten Aufzug aus der „Walküre“. Mit Donner und Blitz braute sich hier im Vorspiel ein unheilvoll grollender Sturm zusammen, ehe der Dirigent in der Begegnung des Liebespaares langsam zu zarteren Klängen fand. Denn trotz großer Besetzung zeichnete Wagner hier eben dennoch ein intimes Kammerspiel, das auch von Nézet-Séguin genutzt wurde, um orchestrale Details wie die sehnsuchtsvollen Einwürfe des Solo-Cellos akribisch herauszuarbeiten.

Im Zentrum des Geschehens stand an diesem Morgen klar Elza van den Heever. Sie wird im kommenden Sommer auch im Bayreuther Jubiläums-„Ring“ als Sieglinde zu erleben sein und gab dafür nun bereits eine glänzende Visitenkarte ab. Mit klarer Diktion und warm leuchtenden Spitzentönen, die in der emotional aufgeladenen Schluss-Szene mühelos über dem Orchester schwebten. Van den Heevers gehaltvoller Sopran harmonierte dabei wunderbar mit Stanislas de Barbeyrac. Ein echter Belcanto-Siegmund mit baritonalem Fundament, dem man seine lyrische Vergangenheit zum Glück noch immer anhört. Wenn er, von seinen Gefühlen übermannt, einschmeichelnd sanft von Winterstürmen und Wonnemond sang, schmolz da nicht nur seine Zwillingsschwester dahin. Selbst bei John Relyea, der gerade noch einen finster grimmigen Hunding gesungen hatte und das Finale nun als stummer Beobachter mitverfolgte, schlich sich da ein anerkennendes Lächeln auf die Lippen. Denn obwohl Yannick Nézet-Séguin in den dramatischen Momenten zuweilen ordentlich aufdrehte und es dem Tenor gerade im Schwertmonolog nicht immer ganz leicht machte, trug er seine Protagonisten nun auf Händen durch das große Liebesduett, das sich immer weiter hochschaukelte und schließlich im euphorischen Applaus des Publikums seine jubelnde Fortsetzung fand. TOBIAS HELL

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