Ein Fest der Stimmen

von Redaktion

„Andrea Chénier“ bei den Salzburger Festspielen

Rollendebüt: Piotr Beczała als Andrea Chénier. © M. Borrelli

Salzburg, das ist in erster Linie die Stadt von Wolfgang Amadeus Mozart und Max Reinhardt. Zur Festspielzeit ist es aber eben auch die Stadt der großen Stars, die sich die Klinke in die Hand geben. Da passt sich schon mal der Spielplan an diverse Publikumslieblinge an. Umberto Giordanos „Andrea Chénier“ ist eine jener Opern, die man eigentlich nur dann auf den Spielplan setzt, wenn man den richtigen Tenor dafür hat. Und wenn einer dieses Prädikat verdient hat, dann ohne Zweifel Piotr Beczała.

Zwar hat Giordano auch Sopran und Bariton mit dankbaren Arien bedacht. Dennoch steht und fällt bei diesem in der Französischen Revolution spielenden Schmachtfetzen alles mit dem Titelhelden. Er hat in jedem der vier Akte eine große Solonummer und muss sich nebenbei in diversen Duetten beweisen – was Beczała bei seinem beeindruckenden Rollendebüt geradezu meisterlich gelingt. Schon nach dem ersten Auftritt mit dem siegesbewusst herausgeschleuderten „Un dì all‘azzurro spazio“ gibt es im Großen Festspielhaus kein Halten mehr. Jubel und Bravo-Rufe, die sich im Laufe dieser konzertanten Aufführung noch steigern.

Piotr Beczała verbindet als Chénier heldisches Format mit zartem Tenorschmelz und zeichnet so ein nuanciertes Porträt des zwischen die politischen Fronten geratenen Dichters. Ein Kämpfer, der mit sicheren Spitzentönen vor dem Tribunal aufbegehrt und später erhobenen Hauptes aufs Schafott schreitet. Aber ebenso ein aufrichtig Liebender, der seine Maddalena mit zarten Tönen zu umschmeicheln versteht.

Dramatisch auftrumpfen kann in den Duetten freilich auch Elena Stikhina, deren apart gefärbter Sopran das leidenschaftlich hochwogende Orchester mühelos überstrahlt. Selbst wenn sie den musikalischen Ausdruck hin und wieder über den Text stellt. Aber nach dem eindringlichen „La Mamma morta“ ist ihr der Jubel des Publikums natürlich ebenso gewiss wie Luca Salsi als Gérard. Er weiß seinen raumgreifenden Bariton gerade im „Nemico della patria“ erstaunlich kultiviert zu führen. Was nicht zuletzt ein Verdienst von Dirigent Marco Armiliato ist, der sich als Spezialist für das Verismo-Fach wieder einmal als Glücksgriff erweist. Der erfahrene Maestro kennt die Partitur bis in die kleinste Note hinein und weiß am Pult die großen Affekte zu bedienen, ohne dabei ins Klischee abzurutschen. Vor allem aber widmet er auch den zahlreichen Nebenfiguren stets die nötige Aufmerksamkeit und betrachtet sie keineswegs nur als Stichwortgeber. Das ist auch den Mitgliedern des Salzburger Young Singers Project anzumerken, die sich voller Enthusiasmus in ihre Rollen hineinwerfen. Wobei stellvertretend für diesen vielversprechenden Nachwuchsjahrgang lediglich Tomislav Jukic und Christopher Humbert erwähnt werden können.

Ein Auge zudrücken muss man dagegen beim Mozarteum Orchester, dem deutlich anzumerken ist, dass es hier auf fremdem Terrain unterwegs ist und von Armiliato wiederholt zurück auf Spur gebracht werden muss. So bleibt der Abend vor allem ein Stimmenfest – wie es bei „Andrea Chénier“ auch sein muss.

Aber beim nächsten Anlauf gönnt man dem mitreißenden Drama hoffentlich auch in Salzburg eine szenische Produktion. Dieses Ensemble hätte es verdient!TOBIAS HELL

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