ARD-WETTBEWERB

„Wir sitzen hinten im Zug“

von Redaktion

Reinhold Friedrich leitet die Trompeten-Jury

Reinhold Friedrich errang 1986 in München einen zweiten Preis. © Cyrus Allyar

Den Begriff „Trompeten-Legende“ fände er wohl zu pathetisch, aber er passt zu Reinhold Friedrich. Nur logisch, dass der 67-Jährige heuer beim ARD-Wettbewerb den Jury-Vorsitz übernimmt. Der gebürtige Badener ist schon lange Professor in Karlsruhe und unter anderem Solo-Trompeter beim Lucerne Festival Orchestra, einem All-Star-Ensemble.

Sie haben 1986 beim ARD-Wettbewerb den zweiten Platz erreicht. Was hat sich seitdem verändert?

Meine Verbindung zu diesem Wettbewerb ist sogar sechs Jahre älter. 1980 habe ich als 22-Jähriger erstmals teilgenommen, mehr aus Jux und Dollerei. Ohne dass ich es erwartete, kam ich ins Halbfinale. Das Niveau hat sich in diesen 45 Jahren unglaublich erhöht, auch was das Repertoire betrifft. Damals waren Stücke zugelassen, über die man heute schmunzelt.

Wie wichtig sind Wettbewerbe für den Nachwuchs heute? Funktioniert eine Karriere auch ohne Teilnahme?

Also mir hat der ARD-Wettbewerb nicht den entscheidenden Karriereschub gebracht. Bei manchen Kolleginnen und Kollegen war das sicher anders. Es hängt auch von der persönlichen Disposition ab. Es gibt einige, die im Wettbewerb überraschend auffallen und allein dadurch ihren Weg machen. Das Entscheidende ist aber: Man trägt einen Wettbewerb vor allem mit sich selbst aus. Das sage ich immer meinen Schülern: „Wenn ihr an Wettbewerben teilnehmt, nur weil ihr Preise gewinnen wollt, seid ihr bei mir an der falschen Adresse. Wenn ihr euch aber dadurch persönlich weiterentwickeln wollt, dann liegt ihr richtig.“

Welche Herkunftsländer führen bei den Trompetern?

Früher war Frankreich Trompetenland Nummer eins, eine Zeit lang hat Ungarn dominiert. Danach kam Spanien, im Moment ist Portugal stark im Kommen. Und was komplett neu ist: Das Niveau der asiatischen Blechbläser hat sich enorm verbessert. Das betrifft nicht nur die Technik, sondern auch den Geschmack und das Stilbewusstsein. Besonders bei Solisten aus China ist das festzustellen. Ich habe ein Wunderkind aus Japan in meiner Klasse, er darf leider beim ARD-Wettbewerb nicht mitmachen, weil er während der Bewerbungsfrist erst 15 und damit ein Jahr zu jung war.

Warum erst jetzt? Im Gesangsbereich drängt seit vielen Jahren asiatischer Nachwuchs auf den Markt.

Wahrscheinlich weil die Blechbläser schon immer im letzten Waggon des Zugs sitzen. Da ist es gemütlicher, da steht auch der Kühlschrank mit den Weinflaschen. Im Ernst: Tatsächlich zeichnen sich neue Entwicklungen meistens erst im Klavier- oder Streicherbereich ab. Das dauert, bis alles bei der Trompete ankommt. Außerdem stellen wir ja auch im Sport fest, dass in China schon die Ausbildung so angelegt ist, dass man an die absolute Spitze drängt. Bei den Elektro-Autos oder Solar-Modulen ist das ja ähnlich.

In den Wettbewerbs-Jurys sitzen sehr unterschiedliche Musikerinnen und Musiker. Die Preisträger sind dann oft Ergebnis eines Kompromisses – bekümmert Sie das?

Einerseits stimmt das. Andererseits: Wenn jemand richtig gut ist, dann herrscht darüber schnell Einigkeit. Die Besten setzen sich also durch. Außerdem sind Unterschiede bei der Trompete leicht hörbar – die Fehlerquote piekst doch ziemlich ins Ohr. Und wer strategisch nur auf Sicherheit spielt, ohne Risiko, der ist auch nicht preiswürdig. Es braucht schon den Mut zur echten Aussage. Beim jetzigen ARD-Wettbewerb gab es 100 Bewerber, 50 mussten ausgewählt werden. Ich habe mir die eingereichten Aufnahmen von allen 100 angehört, nachts, als meine Frau schon schlief. Und danach dachte ich mir: Warst du am Anfang schon objektiv genug für ein fundiertes Urteil? Also habe ich mir alle noch mal vorgenommen, diesmal von hinten nach vorne.

Man hört von vielen Jurorinnen und Juroren den Ausspruch: „Eigentlich weiß ich nach drei Minuten Bescheid und muss nicht das ganze Programm der Kandidaten hören.“ Wie geht es Ihnen?

Ich war 30 Jahre lang beim Deutschen Musikwettbewerb. Da gab es ein Mitglied im Hauptausschuss, das nach den besagten drei Minuten eingeschlafen war. Und dieses Mitglied traf in seinen Beurteilungen die Kandidaten immer haargenau. Es wusste einfach ziemlich schnell Bescheid. Mir geht das ähnlich – wobei ich nicht schlafe! Gut, es gibt Bewerber, die hatten vielleicht einen schlechten Start und fingen sich dann. Aber dass sich ein Urteil komplett revidiert, ist die echte Ausnahme. Was uns übrigens unterscheidet etwa von Klavier-Jurys: Da gab es legendäre Kämpfe zwischen verschiedenen großen Klavier-Domänen, denken Sie an Hannover und Salzburg. Da waren die Messer vor dem Wettbewerb schon scharf.

Weil Blechbläser cooler sind?

Mag sein. Wir haben andere Meinungen, tauschen uns aber gern darüber aus. Unser Potenzial zu streiten ist einfach kleiner. Denken Sie allein an die Gefahr der falschen Töne: Unser Beruf ist so anstrengend, dass man mental auf dem Gleis bleiben muss. Sonst entgleist zum Beispiel in der „Alpensinfonie“ von Richard Strauss der ganze Zug.

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