Keine passive Schachfigur zeigt Rocío Pérez als Ifigenia, hier mit Rafał Tomkiewicz und Alasdair Kent. © Birgit Gufler
Fortsetzung folgt. Mit dieser Ankündigung hätte die erste Premiere der Innsbrucker Festwochen für Alte Musik enden können. Denn zum Festival-Finale geht es nach der vor zwei Wochen gezeigten „Ifigenia in Aulide“ von Antonio Caldara nun weiter mit der Geschichte der Atriden-Tochter. Die Musik stammt diesmal von Tommaso Traetta, der seine „Ifigenia in Tauride“ 1763 am Wiener Hof herausbrachte und fünf Jahrzehnte nach seinem Vorgänger nicht nur musikalisch, sondern auch dramaturgisch spannende neue Wege ging.
Christophe Rousset brennt für die Musik
Während viele Barock-Opern gerne von einer klischeebehafteten Situation in die nächste fallen, spielen Traetta und sein Librettist gekonnt mit den Konventionen. Aufhorchen lässt da vor allem der Einsatz des Chores, der die Handlung immer wieder von außen kommentiert und so für eine interessante Farbe sorgt. Eine Aufgabe, die das Ensemble NovoCanto trotz kleiner Besetzung überaus homogen und stimmgewaltig meistert. Und dass auch Dirigent Christophe Rousset für diese Partitur brennt, ist im Tiroler Landestheater vom ersten Takt an zu spüren. Mit den glanzvoll aufspielenden Originalklang-Profis von Les Talens Lyriques ist Rousset der Motor der Aufführung und ein umsichtig begleitender Partner für die Sängerinnen und Sänger.
Einen exzellenten Einstand bei den Festwochen feiert unter anderem Titelheldin Rocío Pérez, deren gelenkiger Sopran nicht nur mühelos durch die endlosen Koloraturkaskaden perlt, sondern auch über die Durchsetzungskraft für dramatische Ausbrüche verfügt. Diese Wandlungsfähigkeit wird von Regisseurin Nicola Raab dankbar aufgegriffen, deren stringente Inszenierung ohne plakative Effekte auskommt und ganz auf die sich stetig wandelnde Dynamik zwischen den Figuren fokussiert ist.
Dies zeigt sich unter anderem in den Szenen zwischen Ifigenia und ihrer Vertrauten Dori, der Karolina Bengtsson ihren warmen Sopran leiht. Aber natürlich vor allem in der zentralen Kerkerszene, in der die Titelheldin, ohne es zu wissen, auf ihren tot geglaubten Bruder Orest trifft. Pérez und Countertenor Rafał Tomkiewicz schenken sich hier nichts und schaukeln sich in dieser emotionalen Begegnung immer weiter nach oben.
Ifigenia ist in der Fortsetzung ihrer Geschichte nämlich nicht mehr nur eine passive Schachfigur, die zwischen den Forderungen der Götter und den Pflichten der Menschen hin- und hergeschoben wird. Hier wird sie endlich zum aktiven Zentrum und nimmt ihr Schicksal zunehmend selbst in die Hände. Eine Entwicklung, die Ausstatterin Madeleine Boyd auch im Kostüm spiegelt: wenn die Protagonistin ihre griechische Tunika zunächst gegen barocke Roben tauscht und das Finale schließlich in Hosen bestreitet.
Ihr Widersacher Thoas ist im Gegensatz zu Goethes Schauspielversion kein verständnisvoll vergebender König, sondern ein Despot, dessen soziopathischen Züge die Regisseurin schonungslos ausstellt. Und dass Alasdair Kent eher ein tenorales Leichtgewicht ist, kommt der Rollengestaltung sogar noch zugute. Aufgewertet wird aber nicht zuletzt auch Orests Freund Pylades. Dank Suzanne Jerosme, die stimmlich virtuos jeden ihrer meist viel zu kurzen Auftritte zu nutzen weiß, um sich für größere Aufgaben zu empfehlen.
Ein Sonderlob muss unbedingt noch an die Übertitel gehen, die das manchmal blumige Libretto so wörtlich wie nötig, aber doch so frei wie möglich zusammenfassen. Wobei Sätze wie „Meine Familie neigt zu Tragödien“ nicht nur für ein Schmunzeln im Publikum sorgen, sondern die blutige Atriden-Saga ebenso doppelbödig wie treffend auf den Punkt bringen. TOBIAS HELL
Weitere Vorstellung
heute, www.altemusik.at.