Bereit für den Tod ist Alceste (Carolin Ritter), um ihren Mann Admète (Algin Özcan) vor der Unterwelt zu retten. © Aylin Kaip
Über einen Theater-Dresscode wurde zuletzt immer wieder heftig diskutiert. Und ja: Es ist durchaus nachvollziehbar, wenn die Mailänder Scala Flip-Flops, Bermuda-Shorts und Feinripp-Unterhemden aus ihren heiligen Hallen verbannt. Aber dass man vor einer Opernvorstellung von einem Schild dazu angehalten wird, seine OP-Schutzkleidung abzulegen? Das ist tatsächlich nicht alltäglich. Aber so ist das nun einmal bei der Opera Incognita. In Ermangelung einer eigenen Spielstätte ist das Ensemble seit nunmehr 20 Jahren immer wieder auf der Suche nach neuen Orten für seine spannenden Projekte. Und zum großen Jubiläum hat man sich nun eben zwei Wochen in der Personal-Cafeteria des Klinikums Großhadern niedergelassen.
Für Glucks „Alceste“ schreibt sich das Regie-Konzept dort beinahe von selbst, erleben wir doch die Geschichte einer Frau, die bereit ist, in den Tod zu gehen, um damit ihren kranken Gatten vor der Unterwelt zu bewahren. Als König Admète da während der Ouvertüre einen Herzinfarkt erleidet, ist das singende Pflegepersonal umgehend zu Stelle und ein provisorischer Operationssaal eingerichtet. Wobei Realität und Bühnensituation mehr als einmal miteinander verschwimmen: Im Premierenpublikum finden sich da nicht nur Angestellte des Klinikums, sondern unter anderem auch einige Patientinnen und Patienten.
Im Gegensatz zu manch anderer Spielstätte der vergangenen 20 Jahre erweist sich die Cafeteria zum Glück auch als akustisch dankbar. Was Dirigent Ernst Bartmann zu nutzen weiß. Von historischer Aufführungspraxis lässt sich zwar nicht durchwegs sprechen. Aber Kompromisse muss man bei Bartmanns stimmiger Kammerfassung dennoch kaum eingehen. Auch Regisseur Andreas Wiedermann gelingt es, die Weite des Raumes gut zu beleben, ohne dabei in unnötigen Aktionismus zu verfallen. Wobei er gerade auch die intimen Momente klug zu fokussieren versteht.
Im Zentrum der Produktion steht ein weiteres Mal Carolin Ritter. Eine fesselnde Sängerdarstellerin, die bei der Opera Incognita vom Barock bis Verdi schon mehrfach ihre Wandlungsfähigkeit unter Beweis gestellt hat. Ritter verkörpert die aufopfernd Liebende mit jeder Faser ihres Körpers, hat aber auch das nötige Feuer in der Stimme, wenn sie sich in ihrer großen Arie „Divinitées du Styx“ mit den grausamen Göttern anlegt. Und dass dazu noch die Chemie mit Algin Özcan stimmt, schadet auch nicht. Er singt einen teilweise fast schon zu gesund und kräftig klingenden Admète, während Robson Bueno Tavares mit orgelndem Bass in buchstäblich letzter Minute noch das Happy End für alle garantiert. Als Herkules darf er hier die Firma „Styx Pharma“ vertreten und den Wahlspruch seines Unternehmens in die Tat umsetzen: „Heilkraft mit Tiefgang“. Denn zwischen all dem markerschütternden Drama gönnt die Regie dem Publikum ab und zu ein befreiendes Lachen, das ja bekanntlich immer noch die beste Medizin ist. Neben der Musik versteht sich.
Und was hätte der alte Gluck wohl dazu gesagt, der im Vorwort der Partitur die Grundsätze seiner strengen Opernreform formulierte? Egal! Das Publikum hatte seine helle Freude an dieser Aufführung. Und in der Pause auch noch Gelegenheit, es der mutigen Titelheldin gleichzutun und sich freiwillig als Stammzellen-Spender registrieren zu lassen. Die Welt verändert man eben auch im Theater nicht allein durch gut gemeinte Parolen. Das hat man bei der Opera Incognita verstanden. Hier hat man unter anderem einen engagierten Laienchor zu einer echten Familie zusammengeschweißt und lockt mit seinen ungewöhnlichen Projekten auch Menschen ins Musiktheater, die sonst eher nicht zum klassischen Staatsopern-Publikum zählen. Daher kann man sich dem frommen Wunsch im Programmheft nur anschließen: „Auf die nächsten 20 Jahre!“ TOBIAS HELL
Weitere Vorstellungen
am 5., 6., 12., und 13. September im Casino (Betriebskantine) des Klinikums Großhadern; Karten über www.muenchenticket.de.