Kommissar Rath blickt zurück

von Redaktion

„Babylon Berlin“-Autor Volker Kutschers Roman „Westend“

Gereon Rath (Volker Bruch) in „Babylon Berlin“. © Degeto

Beendet seine Krimi-Reihe: Volker Kutscher. © A. Chudowski

Diese Morde gab es wirklich: Das Foto von 1931 zeigt die Trauerfeier für zwei in Berlin getötete Polizisten. © ullstein

Manche Abschiede fallen schwer. Dem Schriftsteller Volker Kutscher geht es da anscheinend genauso wie seinen Lesern. Denn von dem gesamten Kosmos um seinen Kommissar Gereon Rath, dessen Ex-Frau Charly alias Charlotte Ritter und all die anderen zwielichtigen oder sympathischen Gestalten seines Berlin-Kosmos kann sich Kutscher offensichtlich nicht so gut trennen. Im vergangenen Herbst erschien mit „Rath“ schon einmal der wirklich letzte Krimi aus dem historischen Berlin. Der soeben erschienene schmale Band mit dem Titel „Westend“ soll nun aber definitiv der allerletzte Gereon-Rath-Roman sein. Das erinnert mit Verlaub ein wenig an die Abschiedstourneen von Elton John und anderen Altstars der Musikszene, die unverdrossen von einer Stadiontour zur nächsten aufbrechen. Aber man kann es Kutscher in diesem Fall schon eher glauben als im letzten Jahr bei „Rath“. Denn während das Buch von 2024 noch einige Fäden des eng verflochtenen Handlungsstrangs offen und lose herab hängen ließ, schließen sich jetzt diese unbefriedigenden Lücken. Weitgehend.

Einen Krimi kann man „Westend“ nicht mehr nennen. Eher einen knackig formulierten Epilog in Dialogform. Das hat Kutscher schon zweimal ganz ähnlich als Ergänzung zu seinen großen, üppig ausgestalteten Kriminalfällen geschrieben: „Moabit“ war ein Bonustrack, der sich mit der Vorgeschichte Charlys befasste, ehe sie bei der Berliner Polizei aufschlug und Böhm und Rath und all die anderen überhaupt kennenlernte. „Mitte“ beleuchtete das Schicksal von Fritz Thormann genauer. Der von der Gestapo verfolgte Adoptivsohn von Charly und Rath, der zwischendurch ein strammer Jungnazi war und an dessen Schicksal sich die perfiden NS-Verführungsstrategien gut ablesen ließen.

Im Gegensatz zu den vorherigen Haupt- und Neben-Texten knüpft „Westend“, erneut nach einem Berliner Stadtteil benannt, zeitlich nicht dicht an den vorherigen Roman „Rath“ an. Die Geschichte setzt vielmehr erst nach einigen Jahrzehnten wieder ein: Gereon Rath verbringt im April 1973 seine Tage in einem Seniorenheim im schicken Westend und langweilt sich, griesgrämig wie eh und je, durch die Tage. Da taucht der junge Historiker Dr. Singer auf und möchte den über Siebzigjährigen zur Arbeit der Berliner Polizei in der Zeit der Weimarer Republik bis zur Nachkriegszeit befragen – insbesondere die Polizistenmorde am Bülowplatz 1931 und zwei damals steckbrieflich gesuchte Männer interessieren ihn. Rath ist genervt, andererseits derart vom Alleinsein angeödet, dass er sich nach einigem Zögern befragen lässt.

Dieses Gespräch, das immer mehr von einem Interview zum knallharten Verhör gerät, beleuchtet noch einmal die bislang ungeklärten Ermittlungen Raths, aber auch die ähnlich schwer zu definierende Beziehung zu seiner Ex Charly. Zusätzlich zeichnen Rath und Singer durch ihren Dialog – und das war ja schon immer Kutschers große Kunst – wie nebenbei ein präzises, desillusionierendes Bild der deutschen Nachkriegszeit in Ost und West, inklusive der Erkenntnis, wie viele Nazis in der jungen Bundesrepublik in Amt und Würde blieben.

Wie schon „Moabit“ und „Mitte“ ist auch „Westend“ ein herrlich ausgestattetes, stoffgebundenes Büchlein, das auf dem Cover wie auch im Inneren mit den Illustrationen von Kat Menschik prunkt. Die Grafikerin hat einzelne Passagen stilvoll abgesetzt und den ganzen Textblock mit zahlreichen, Kutschers Charaktere überaus treffend gestalteten Bildern aufgelockert. So hält man mit „Westend“ nicht nur den mutmaßlichen Abschlussband der Rath-Reihe in den Händen. Sondern in erster Linie auch ein kleines, feines Kunstwerk.ULRIKE FRICK

Volker Kutscher:

„Westend“, illustriert von Kat Menschik, Galiani Verlag, 112 S.; 23 Euro.
In München stellen Volker Kutscher und Kat Menschik „Westend“ im Rahmen des Krimifestivals am 13. November im NS-Dokuzentrum vor.

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