Wut und Fassungslosigkeit

von Redaktion

Politischer Druck verhindert Lahav Shanis Konzert in Gent

Weil er sich nicht offen von der israelischen Regierung distanzierte und von ihrem Vorgehen im Gaza-Streifen, wurden Lahav Shani und die Münchner Philharmoniker vom Flandern-Festival ausgeladen. © Tobias Hase

Das Unheil hatte sich in der vergangenen Woche angekündigt. Da empfingen die Münchner Philharmoniker erstmals Signale aus dem Nachbarland: Ein Auftritt des Orchesters unter seinem designierten Chefdirigenten sei problematisch. Was zunächst für Überraschung und Ungläubigkeit sorgte, provozierte vor allem am Wochenende eine hektische „Pendeldiplomatie“, wie es aus Philharmoniker-Kreisen heißt. Die deutsche Botschaft in Brüssel wurde eingeschaltet, auch höhere Regierungskreise waren auf einmal mit einem Fall befasst, den in Deutschland niemand erwartet hatte.

Wie in unserer gestrigen Ausgabe berichtet, hat das Flandern-Festival in Gent das für den 18. September geplante Konzert der Münchner Philharmoniker abgesagt. Begründet wurde dies damit, dass sich der designierte Chefdirigent Lahav Shani nicht vom Vorgehen der israelischen Regierung im Gaza-Streifen distanziert habe.

Offenkundig geschah dies auf politischen Druck. Dafür spricht vor allem die Aussage der flämischen Kulturministerin Caroline Gennez von der sozialdemokratischen Partei Vooruit. Die Kulturinstitutionen müssten die Zusammenarbeit mit Partnern und Unternehmen beenden, die sich nicht eindeutig vom „Völkermordregime in Tel Aviv“ distanzieren. Dazu zog sie einen Vergleich zum einstigen Apartheidregime in Südafrika. „Wenn wir wollen, dass Persönlichkeiten wie Nelson Mandela in Palästina eine Chance haben, müssen wir weiterhin auf dieser Grundlage handeln“. Dazu sei ein „echter Kulturboykott“ notwendig.

Lahav Shani, geboren 1989 in Tel Aviv und heute gleichzeitig Chef des Israel Philharmonic Orchestra, hat in der Vergangenheit immer die völkerverbindende Kraft der Musik betont, aber nie direkt in einen politischen Diskurs eingegriffen. Seine Worte sind stets wohlüberlegt und lassen viel zwischen den Zeilen erkennen. „Letztlich bin ich nicht einfach nur ein Israeli“, sagte er vor einiger Zeit unserer Zeitung. „Ich bin als Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra auch ein Repräsentant. Das Ensemble repräsentiert allerdings die israelische Kultur, nicht die Regierung. Es ist kein Staatsorchester.“

Aus seinem näheren Umfeld wird berichtet, dass der 36-Jährige gerade „sehr verletzt“ sei. Konkret äußern zur Konzertabsage möchte sich Shani derzeit nicht, im Laufe der nächsten Tage soll wohl eine Stellungnahme erarbeitet werden. Die Festival-Verantwortlichen in Gent hatten Anfang dieser Woche einen in ihren Augen akzeptablen Kompromiss angeboten: Die Münchner Philharmoniker könnten zwar gastieren, allerdings unter einer anderen Leitung. Für das Orchester ein unannehmbarer Vorschlag, der wegen seiner Absurdität keine Sekunde in Erwägung gezogen worden war.

Am vergangenen Mittwoch wurden die Mitglieder in einer Orchesterversammlung über die Situation und die Absage informiert. Die Stimmung bewegt sich derzeit zwischen Wut, Enttäuschung und Fassungslosigkeit. Nicht nur aus Philharmoniker-Kreisen, auch aus der internationalen Kulturszene erfährt Lahav Shani gerade riesige Solidarität.

Seit geraumer Zeit hat sich in Belgien die Stimmung Israel gegenüber massiv verschlechtert. Grund ist das Vorgehen der Regierung von Benjamin Netanjahu im Gaza-Streifen, das von einigen mit dem Begriff des „Völkermords“ belegt wird. Belgien möchte nun Palästina als Staat anerkennen. Der Auslöser des Gaza-Kriegs, der Terror-Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023, wird dabei überhaupt nicht mehr thematisiert. Zugleich erstarkt in Belgien die BDS-Bewegung. Die Kampagne „Boycott, Divestment, Sanctions“ will Israel massiv unter Druck setzen. Angeblich wurde auch das Flandern-Festival ins Visier genommen. Die Verantwortlichen dort befürchteten offenbar Demonstrationen, sollten die Münchner Philharmoniker mit Lahav Shani auftreten.

Wie stark sich der Dirigent für die Versöhnung in Nahost einsetzt, zeigt allein sein Engagement beim West-Eastern Divan Orchestra. In dem von Daniel Barenboim gegründeten Ensemble spielen israelische und arabische Musikerinnen und Musiker. Als einer der wenigen durfte Shani auf Einladung Barenboims das Orchester dirigieren. Sein historisches Bewusstsein zeigte sich zudem vor einigen Monaten, als Shani die Münchner Philharmoniker und das Israel Philharmonic zusammenbrachte. „Es gibt zu viele, die jetzt schon vergessen und vergessen wollen“, sagte er damals. „Deshalb müssen die Geschichten weitererzählt werden, und deshalb muss es solche Konzerte geben.“MARKUS THIEL

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