Primaballerina des Gesangs

von Redaktion

Mit quellklarer Stimme: Zum 100. Geburtstag der Sopranistin Erika Köth

Machte Weltkarriere: Erika Köth (1925–1989). © PA

Einzigartige Koloraturstimme: Erika Köth, hier mit Fritz Wunderlich in Rossinis „Barbier von Sevilla“ im Münchner Cuvilliéstheater. © Sessner/Ullstein

Die eine Statistik spricht von 250, eine andere von 270 Mal. Wohl kaum eine hat die Königin der Nacht aus der „Zauberflöte“ so häufig gesungen wie sie. Was bedeutet: Es gibt eine Generation von Opernfans, die nur Erika Köth (1925–1989) in dieser Rolle kannte. Kein Nachteil ist das, im Gegenteil: Diese Sopranistin, deren 100. Geburtstag an diesem Montag gefeiert wird, setzte (nicht nur) mit Mozarts höllisch schwerer Partie Maßstäbe. Keine Verzierungen keifende Königin war da zu erleben. Erika Köths Vokalporträt war stets lyrisch empfunden, hatte – wie fast alle ihre Rollen – etwas Mädchenhaftes. Eine Stimme, so quellklar, so frisch und locker geführt, als sei Singen die einfachste Sache der Welt.

Der Text war für sie die Basis

Vor allem aber war jedes Wort zu verstehen, selbst in der Stratosphäre weit oberhalb des Notensystems. Auch dafür war Erika Köth berühmt, in jeder Partie. Wenn sie sich an eine neue Rolle wagte, sprach sie sich immer wieder den Text vor. Er war für sie die Basis. Er musste sich mit den Noten vermählen, so unbequem er auch gelagert war. Als sie unter Herbert von Karajan einmal die Königin der Nacht an der Mailänder Scala auf Italienisch singen musste, lernte sie erst die Sprache. An der New Yorker Met hätte sie die Rolle auf Englisch singen sollen, doch die Köth wurde krank. „Ich hätte die Königin da höchstens husten können“, wie sie im Rückblick sagte.

So leicht und unangestrengt sich Erika Köth durch alle ihre Partien bewegte – als Kind musste sie kämpfen. Mit acht Jahren erkrankte sie an Kinderlähmung, eine lange Therapie schloss sich an. Ihre Heimatstadt Darmstadt gewährte ihr ein Stipendium für eine Gesangsausbildung, doch der Krieg verhinderte dies. Erika Köth arbeitete in einer Munitionsfabrik. Nach 1945 verdiente sie ihr Geld zunächst als Schlager- und Schnulzensängerin für die US-Army.

Nicht unbedingt als Makel dürfte sie das empfunden haben: Erika Köth entwickelte damals ein Sensorium für die Bedürfnisse des Publikums. Was später so weit ging, dass sie ihre eigene Fernsehshow „Ihr Musikwunsch“ bekam. Auch Gastauftritte in Sendungen wie „Der Blaue Bock“, unter anderem mit Volksliedern, machten die Sopranistin ungeheuer populär. Damit gehörte Erika Köth zu einer Generation von Sängerinnen und Sängern, die sich wie Hermann Prey, Fritz Wunderlich oder Rudolf Schock bedenkenlos und gern zwischen U- und E-Genre bewegten.

Nach Engagements in Kaiserslautern und Karlsruhe kam Erika Köth im Jahr 1953 an die Bayerische Staatsoper. Eine Weltkarriere bahnte sich an: Auf eine solche Koloraturstimme hatten die großen Häuser gewartet. „Außer in China habe ich überall gesungen“, stellte die Köth einmal lapidar fest – es war nicht als Protzerei gemeint. Mimì („La bohème“), Gilda („Rigoletto“), Micaela („Carmen“) oder die Titelpartie in „Lucia di Lammermoor“ wurden nun ihre Domänen, immer auf der Basis ihres Mozart-Gesangs. Von ihrer Rosina in Rossinis „Barbier von Sevilla“ gibt es eine berühmte Fernsehaufzeichnung aus dem Cuvilliéstheater, Partner wie Hermann Prey, Fritz Wunderlich und Hans Hotter machten die Aufführung legendär.

Ihre Kunst gab sie dem Nachwuchs weiter

Wer sich den Mitschnitt auf Youtube gönnt, staunt über das musterhafte Legato, über Verzierungen, die perfekt auf dem Atem liegen, über Textsilben, die sich wie Perlen zu einer Phrase verbinden. Im Jahr 1978 verabschiedete sich Erika Köth mit der Mimì von der Opernbühne, um danach ihre Kunst dem Nachwuchs weiterzugeben – unter anderem in August Everdings Münchner „Singschul“. Im Jahr 1989 starb sie in Speyer nach einer Krebserkrankung. Ihre Art zu singen hat sie selbst am besten beschrieben: „Wie ein Bällchen auf dem Springbrunnen“, so müsse der Ton auf dem Atem tanzen. Von daher war Erika Köth die Primaballerina des Gesangs. MARKUS THIEL

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